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Low – Hey What (2021)

Quelle: jpc.de

Ich weiß nicht, wer mir Low vor vielen Jahren empfahl. Aber es war Begeisterung aufs erste Hören. Ständig irgendwo zwischen Slowcore und Dreampop wandelnd, machten Low ihrem Namen alle Ehre mit diesem herrlich verschleppten Beats und oft verhallendem Gesang von Mimi Parker und Ian Sparhawk. Und über die Alben hinweg experimentierten sich Low stets weiter vor in ihren Soundstrukturen und überraschten mich jedes mal aufs Neue.

Aber seit dem Album „Ones And Sixes“ gab es einen deutlichen Schub in neue Dimensionen. Störungen, chaotische Verzerrungen, Disharmonien brachen auf, die zugleich von stets zarten und einfachen Melodien aufgelöst wurden, wie ein Unwetter im stürmischen Herbst, dass über einen her fegt und die Wolken doch immer wieder die Sonne durchlassen und man irgendwo einen Regenbogen sieht. Mit „Hey What“ gehen Low ihren Weg mutig, selbstbewusst und sicher weiter und loten diese Dimensionen in verschiedenen Facetten aus.

Nicht nur, dass „Hey What“ von mir sehnlichst erwartet wurde und deshalb an dieser Stelle als meine Musikempfehlung von November in Erscheinung tritt. Nein, vermutlich wird „Hey What“ wohl auch das letzte Album dieser Art sein , denn Mimi Parker verstarb leider diesen Monat. Damit ging eine für mich großartig kreative Musikerin, der mit diesem kleinen Post hier gedacht werden soll. „Hey What“ wirkt mit dieser Geschichte auf mich nochmals schwerer und bedeutungsvoller. R.I.P., Mimi Parker…

Ein Foto fand ich für „Hey What“, das mir passend schien. Beim Hören habe ich Assoziationen zur Suche nach Glück und Freude, die einem immer wieder durch die Hände gleitet, wenn man zu fest daran hält. Und manchmal ist es gar kein Glück und wenig Freude, was man bei der Suche findet – ähnlich dem „Bummeln gehen“ in Geschäftszeilen ohne wirklichen Bedarf . Man versucht, kurze Freuden zu kaufen, die innere Leere bleibt oder kommt schnell zurück. Und so ist die Suche nach dem Mehr vielleicht im Weniger zu finden… Die Schaufensterpuppen, die ich einst sah, finde ich hier passend. Als stets gleiche, wohlgeformte Repräsentanten der austauschbaren Mode, ausgezogen, kühl und abgewandt. Hat da wer „Hey What“ gerufen?

nackte Schaufensterpuppen
Lars Kilian: Hey What (CC BY SA 4.0)

Mogwai – Mr. Beast (2006)

Quelle: https://imagesaws.juno.co.uk/full/CS208862-01A-BIG.jpg

Mogwai verfolgt der Segen, der wohl auch Fluch ist. Bereits mit ihrem Erstlingswerk „Young Team“ (1997) strahlten sie hell über das Post Rock Genre und hatten es fortan schwer. Denn die Erwartungen an sie sind hoch, noch eine Schippe „draufzulegen“. Ob sie die Erwartungen auch erfüllen? Schwer zu sagen, aber eventuell auch unwichtig. Denn auch mit Mr. Beast schaffen Mogwai einen Felsen, der unübersehbar in den Gewässern des Genres steht und wohl nicht so leicht davongespült werden wird. Dabei kann man feststellen, dass es kein Selbstplagiat ist, was hier geliefert wird. Vielmehr gehen sie Schritt für Schritt neue Wege. Unter anderem bildet das Klavier hier ein verbindendes Element. Die Eröffnung empfängt den Hörenden mit einer für Mogwai typischen Wärme, lassen es jedoch immer wieder ordentlich krachen. Dabei meidet Mogwai bei „Glasgow Mega-Snake“ kurzerhand das Vorgeplänkel und Einlullen und lässt es gleich zu zu Beginn ordentlich krachen. Wieviel Gitarren sind nochmal in der Band? Klingt nach viel… Zu Recht kommt die Frage aus den Boxen: „What happenend after the storm? Is everyone okay?“ Ja danke, alles okay und bitte weiter so….

Wie schrieb man bei der laut.de passend:

„Mr. Beast“ ist Zeugnis von Künstlern, die begriffen haben. Musikalisches Gewicht bedingt keine Lautstärke. Intime Schönheit braucht keine Stille. Von nun an scheint alles möglich.“ (http://www.laut.de/lautstark/cd-reviews/m/mogwai/mr_beast/index.htm)

Der Legende nach wurde der Titel des Albums gewählt (oder gefunden), als Mogwai nach langer Reise in den USA aus dem Flugzeug ausstiegen und am Gate jemand sahen, der das Schild „Mr. Beast“ hoch hielt. Das kann vielleicht beunruhigen. Eventuell stammt daher auch der mich sehr beeindruckende Titel „Travel is dangerous“, der neben seiner Dynamik – für mich ein Spiegel des in Bewegung seins – auch vertrackt daher kommt und mich an Dschungel – in Natur oder in der Stadt – erinnert. Und irgendwie finde ich die Aussage der Gefahr des Reises amüsant. Wo sterben nochmal die meisten Leute…? Meine Bildwahl gilt diesem Lied – es ist für mich ebenso vertrackt, dynamisch, vielschichtig und vielleicht auch ein wenig gefährlich?

(C) Lars Kilian "Travel Is Dangerous" (2011)
(C) Lars Kilian „Travel Is Dangerous“ (2011)

Sigur Rós – ( ) (2002)

Cover Untitled Sigur Rós
Bildquelle: https://i.ytimg.com/vi/qN4s75Srcos/maxresdefault.jpg

Mit Sigur Rós hatte ich keinen leichten Start. Ihr Album „Agaetis Byrjun“ hörte ich mir mehrmals bei einem Freund an und fand: „Nicht mein Ding“. Und irgendwann fiel es mir wieder in die Hände und auf einmal war ich verzaubert. Die Begeisterung für diese junge Band steigerte sich mit dem namenlosen 2002er Album „( )“ Nochmals dichter, nochmals schwebender, nochmals poetischer, nochmals kräftiger und freier. So klingt Musik wohl nur aus Island. Der Gesang von Jonsi ist melancholisch/melodisch tragend, die gewählte Sprache ist „vonlenska“- auf dt. übersetzt heißt das wohl „hoffnungsländisch“.

Einem Genre sind Sigur Rós schwer zuzuordnen, aber wozu braucht man Gengres? Sie sollten gut dosiert genossen werden, da sie eventuell suchterzeugend sind. Tatsächlich war Sigur Rós einer der Auslöser, die mich wenige Jahre später nach Island lockten, um das Land, die Elfen und Trolle, die Vulkane, die Eisfelder, den Wind, Sonne und Schatten zu besuchen. Und wer nicht nach Island mag oder kann, dem sei diese CD angeraten. Denn ich meine, dass das Album ein passender Soundtrack zur dieser Insel im Norden ist.

PS: War der Opener des Albums „Untitled #1“ nicht die Titelmusik des wunderbaren Films „Nach der Hochzeit“?

Offizielle Webseite von Sigur Rós

Wikipedia über Sigur Rós

Für mich ist die Musik von Sigur Rós voller Bilder. Dennoch konnte ich mich für eins entscheiden, dass ich mit dem Album verbinde. Quallen, faszinierend Wesen, schweben in etwa so durch das Wasser, wie die Sounds von Sigur Rós durch die Luft. Oder?

Qualle, Foto Lars Kilian

Godspeed You! Black Emperor – ‚Allelujah! Don’t Bend! Ascend! (2012)

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Heute steht in unseren Breitengraden die längste Nacht des Jahres bevor. Da passt es, auf das Album „Allelujah! Don’t Bend! Ascend!“ von GY!BE zu verweisen. Schon allein der Titel des Albums vermag vielleicht all denen Hoffnung stiften, die im alltäglichen Kampf um was auch immer nicht auf der Gewinnerseite stehen. Gleich zu Beginn steigen GY!BE in die Dunkelkammern ihres sowieso nicht gerade hell beleuchteten musikalischen Gebäudes hinab, um dort unten mal ordentlich aufzuräumen und die Erinnerungen und Gedanken der letzten Dekade ans Licht zu zerren. Die beiden 20-minütigen Stücke „Mladic“ und „We drift like worried fire“ bilden dabei die Kondensationskerne dieser 50 Minuten Apokalypse. Dabei verlassen die Kanadier den Postrock und gehen mit „Mladic“ deutlich in Richtung Noiserock, der scheinbar alles niederwalzt, was bislang noch Hoffnung in sich trug, während „We  drift like worried fire“ die der Band typische Melancholie in sich trägt, die zugleich auch das Licht  verspricht, Neues und Besseres zu schaffen.

Mit dem Album, das 10 Jahre Arbeit in sich birgt und dessen Veröffentlichung eher heimlich während eines Konzerts in Boston erfolgte, konnten GY!BE sogar kurz in die Charts erklimmen und gewannen den Polaris Music Prize. Dennoch bleiben sie fernab von Hitparade und Mainstream, sie sind radiountauglicher denn je und definitiv nicht massenkompatibel. Aber welche Apokalypse ist das schon?

Bleibt uns der Blick auf Morgen. Die längste Nacht des Jahres liegt dann hinter uns und das Licht kommt sicher wieder.

Offenbar das gesamte Album zum Hören bei Youtube:

2012 hatte ich das Glück, die Band mal live in Lille zu erleben. Ein paar Impressionen dieses großartigen Konzerts, wobei Workshop vielleicht der passendere Begriff des Auftritts sein könnte…

World’s End Girlfriend – Seven Idiots (2010)

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Was wäre, wenn Mouse On Mars mit Godspeed You! Black Emporer zusammen ins Studio kommen? Das klänge sicher spannend, oder? Oder wie  Ulf Imwiehe von der Intro meinte: „Horror Vacui? Oder die reine Freude am Sound-Clash und sensorischen Overload? Was immer den japanischen Komponisten Katsuhiko Maeda antreibt, das Resultat klingt wie eine Jam-Session von Aphex Twin, Sun Ra und John Zorn auf Glücksbärchisaft.“

Um dieses Album zu komponieren, stellte Maeda den Gesang an erste Stelle, der zugleich das Grundgerüst darstellte, um den dann die Sounds arragiert worden sind. Das Interessante an dem Vorgehen: Im Laufe der Arbeit wurde der Gesang nach und nach aus den einzelnen Stücken gestrichen bis (fast) nur noch das Instrumentale übrig blieb. Und auch selbiges wurde geschnitten, neu zusammengesetzt, durch den Computer gejagt usw. usf…

Herausgekommen ist ein Album, was wohl schwer in Kategorien zu fassen ist. Tanzen ist kaum möglich, entspannen ebenso wenig. Es ist definitiv zum Zuhören. Verstörend und schön, wie Strukturen aufgebaut werden und im nächsten Moment wieder zerfallen, nur um etwas Neues zu gebären. Ein Verschmelzen von Extase und Besinnung, Harmonie und Dissonanz, Konstruktion und Destruktion. Sozusagen ein Durchlauf aller vier Jahreszeiten – und die mehrmals pro Titel. Das nachfolgende Video zeigt besser, wovon ich nicht schreiben kann…

65Dayofstatic – We Were Exploding Anywhere (2010)

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Irgendwie nicht Fisch und nicht Fleisch, das Album. Aber ungewöhnlich allemal. Die unmögliche Vereinigung von Postrock, Math, Clicks&Cuts und Dancefloor – hier vollzogen. Goodspeed You Black Emperor! treffen Notwist? Irgendwie so, aber doch ganz eigen, ein Vergleich wird der eigenen Art von 65Dayofstatic nicht gerecht. Überhaupt der Bandname: Wie würden sie erst klingen, wenn sie nicht statisch sein würden?

Sheffield scheint ein magischer Ort zu sein, was den Output von kreativen Sounds angeht und dem auch 65daysofstatic entspringen. Dass es die Band noch nicht bis zu Warp-Records geschafft hat / schaffen wollte, verwundert hingegen sehr. Schön, dass die Band nicht allein und abgeschottet vor sich hin spielt, sondern auch Bekannte (Robert Smith (The Cure)) ein Gastspiel auf dem Album geben, erfreut doch sehr, wenngleich die Vocals bis fast zur Unkenntlichkeit zuerfasert sind…

Hörenswert für alle, des Überraschungen lieben. Und so kann auch mal was schmecken, was weder Fisch noch Fleisch ist.

65dayofstatic – The Fall Of Math (2004)

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Weil es so passend beschrieben ist, häng ich hier einfach nur das Zitat rein und genieße weiter das Album 🙂

„Die Scheibe rotiert in der Anlage, und plötzlich ist alles anders. Das sanfte Regenplätschern gegen die Fensterscheibe entschwindet aus der Wahrnehmung. Der frisch aufgegossene Tee erkaltet unbemerkt auf dem Nachttisch. Schon die ersten Klänge packen, bannen, magnetisieren und ziehen das Bewußtsein am Ohr in parallele Galaxien. Mit ihrem ersten Longplayer „The fall of math“ ist den vier jungen Hexenmeistern von 65daysofstatic ein futuristischer Instrumental-Trip mit hypnotischer Sogwirkung gelungen. Sie haben zwar der Mathematik abgeschworen, aber eine musikalische Formel entwickelt, die restlos aufgeht.“ (Quelle: http://www.plattentests.de/rezi.php?show=2875)

Portrait der Band auf laut.de

Explosion In The Sky – How Strange, Innocence (2000, remastert 2005)


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Ihrem wenig beruhigenden Bandnamen werden Explosion In The Sky auch auf diesem Album gerecht. Wie schöne Schäfchenwolken, die dem blauen Sommerhimmel eine malerische Abwechslung geben, legen sie eine Melodie auf die andere und füllen so mit der Zeit die Soundstrukturen. Und wie bei den Schäfchenwolken ist es mit den Melodien von Explosion In The Sky: Sie türmen sich auf, werden zu Kumulus-Wolken, verdunkeln den Himmel und voller Bange – aber auch Neugier – schaut man Richtung Horizont, was da noch kommen mag.
Eins sei verraten: Die Aussichten auf ein Gewitter – oder Schlimmeres – bieten Explosion In The Sky auch auf diesem Album. Aber statt des großen Krachens kommt nur ein beschaulicher, warmer Sommerregen herunter. Schön auf der Haut, gut für das Land, auch wenn die große Katharsis damit entfällt. Aber wer braucht schon immer das große Finale – die Schönheit ist im Detail.

Auf Youtube scheint das ganze Album zu liegen…

Tortoise – Standards (2001)

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Das ist ein Aufstieg: Sieben Jahre und drei Alben nach dem ersten Auftritt in der Musiklandschaft schaffen es Tortoise, das Warp-Label zu entern. Damit fand eine der interessanten Post-Rock-Bands von Amerika den Weg zur britischen Avantgarde-Schmiede elektronischer Musik. Dabei konnte diese Liaison fast schon vorausgesehen werden: beide Parteien sind äußerst innovativ, was den musikalischen Anspruch und Output angeht, Tortoise interessierten sich immer mehr für elektronisches Gefrickel und Warp für handgemachte Musik.

Standards geht wieder stärker in den listening Bereich und lädt dazu ein, auf dem Sofa bei gut austarierter Anlage oder ordentlichen Kopfhörern das Kopfkino zu starten. Dabei schichten sie Sound auf Sound und drohen fast, im eigenen musikalischen Gewirr die Fäden zu verlieren, um dann doch letztendlich immer wieder die kleinen & feinen Melodien und Rhythmen herauszufiltern, die einen Aha- oder öfters noch Oho-Effekt beim Zuhören hervorrufen können. Tolles Album, wenn man sich darauf einlassen kann.

Gregor Samsa – 55:12 (2006)

Hörprobe
Finger hoch, wer alles wissen will, was es mit dem Bandnamen Gregor Samsa auf sich hat!

Klingt er doch wenigstens für meine Ohren sehr nach z. B. Knut Hamsun; und wie man aus Richmond, Virginia stammend auf so einen Titel kommt, scheint mir ein ziemlich kreativer Prozess. Tatsächlich ist, wie diverse unter euch sicher schon wussten, Gregor Samsa zuallererst mal der Protagonist aus Franz Kafkas Erzählung “Die Verwandlung”, in der ein Handlungsreisender sich in einen Käfer verwandelt. Science-Fiction pur, sollte man gelesen haben. Die Band Gregor Samsa hat eine Verwandlung dieser Art aber erst noch vor sich.

Nach zwei EPs sind sie nun bei ihrem ersten Album angekommen und noch vollauf damit beschäftigt, ihre Ausgangsvorstellungen von Pop auszudifferenzieren. Die orientieren sich an sphärischem Instrumentalrock nach Prägung des kanadischen Constellation-Labels, isländischer Über-den-Wolken-Atmosphäre à la Sigur Rós oder Múm, Gitarrenwällen von Mogwai und typisch Low’scher Langsamkeit. Herausgekommen ist eine klassische Genreplatte, die aufgrund wunderbarer klanglicher Homogenität und ausladend-freier Strukturen den Errungenschaften dieser Stilart aber doch eine spannende neue Facette hinzufügen kann. Rock steht hinten an bzw. die Orientierung an seinen dramatischen Kniffen. Gregor Samsa machen auf “55:12” endgültig schwebende und bildliche Vorstellungskraft anregende Musik voller erhebender Momente. Für den Konsum dieser Platte muss man sich Zeit nehmen, aber diese Investition wird garantiert belohnt. (Christian Steinbrink)“ (http://www.intro.de/platten/kritiken/23035246/gregor-samsa-5512)