Warum ist Maxinquaye noch nicht in meinem Blog? Das Album befindet sich seit über 20 Jahren in meiner Sammlung und ist immer wieder erfreulich zu hören. Wenngleich es sich bei den düsteren Tracks des Erstlings-Solowerks von Tricky vielleicht nicht anschickt, von erfreulich zu sprechen. Mit Maxinquaye legte Tricky nach seinem Weggang von Portishead den Grundstein für die eigene Arbeit und einen Meilenstein in den um die Jahrtausendwende gefeierten Trip Hop. Tricky präsentiert hier seinen einmaligen lo-speed Rap auf schwerpumpenden, schwarzen Elektroniksounds. Insgesamt, so möchte ich mit Blick auf den Output der letzten 20 Jahre feststellen, hat Tricky das Niveau von Maxinquaye nie wieder in dieser Form erreicht. Maxinquaye – übrigens eine Zusammensetzung des Namens seiner Mutter – ist ein Album, dem man den Sumpf anhört, in dem Tricky sich damals befand. Wer mit ihm zusammen in den dunklen des TripHop abtauchen möchte, sei dieses Album empfohlen.
Reinhören Weihnachstzeit. Die Plätzchen sind gebacken und wohl schon fast von allen Tellern verzehrt… Und, waren sie lecker? Ich hoffe, doch! Wie die Plätzchen ein geschmackliches Gesamtvergnügen darstellen, die aus einer Vielzahl von Zutaten bestehen, von denen einige allein gar nicht schmecken würden, so ist die Musik von den Books zubreitet. Samples werden an- und übereinander geschichtet, Harmonien verbinden scheinbar zusammenhangsloses und Brüche überraschen die akustische Wahrnehmung, bevor es diese sich in Gefälligkeit breitmachen kann. Eine wirklich bemerkenswerte Gruppe, die nicht nur mit so vielen Sounds tüftelt und variiert, wie man es sonst von Matthew Herbert, Some More Crime oder Senor Coconut gewohnt ist. Zahllose, in die Soundstrukturen eingewobene Sprachfetzen – scheinbar entnommen aus Rundfunk- oder Filmsequenzen – führen mit sich oder dem Hörenden eigene bzw. eigenartige Dialoge. Dabei schaffen The Books trotz der ständigen Unruhe eine Wärme, wie sie mir von Lemonjelly, CocoRosie oder Notwist bekannt sind. Es ist eine unglaubliche Mixtur, die hier aufgefächert wird. „Experimental-Musik im Endstadium. Oder doch der Anfang einer neuen Sichtweise von Pop. Man hatte die Wahl“ (Quelle). Und ähnlich wie beim Essen der Kekse bleibt es jeder/m Einzelnen Überlassen, zu entscheiden, ob es schmeckt oder doch eine Brise zuviel Zimt genommen wurde… Aber probieren sollte man doch auf jeden Fall.
Hörproben Mit Third legen Portishead ihr drittes Album in 17 Jahren vor. Kein gerade üppiger Output, aber auch nicht verwunderlich, denn sie verfolgen ja das Ziel, Musik zu machen, die für immer einen Platz in den Plattensammlungen findet. Und das haben sie in der Vergangenheit auch geschafft. So wurde das Erstlingswerk „Dummy“ von der Presse immerhin auf Platz 2 der wichtigesten Platten der 90er Jahre gekürt! Guter Einstand. Und der Nachfolger hatte es entsprechend schwer, musste er doch aus dem Schatten des Vorgängers treten, ohne die Verwandtschaft zu verleugnen. Und nun die Dritte im Bunde. Sie macht es dem Hörer nicht einfach und hat es selbst auch nicht einfach. Mehr des Gleichen geht wohl nicht und wird langweilig. Aber man kann auch nicht Innovation nach Innovation liefern, sprich, immer wieder neue Stile erfinden. Dafür ist das Setting von Portishead auch zu gut und gesetzt. Und so dehnen sie ihr TripHop Universum aus und entgleiten in abstrakte, kühlere und – ja – noch düstere Soundgefilde, kratzen gar am Industrialhimmel mit Technowolken und wagen Abstecher zum Krautrock. Beth Gibbons erfindet ihre Stimme neu und lotet die Höhen und Tiefen aus. Die Elegie und Leichtigkeit mussten dem Schweren und Abgründigen Platz machen.
Das Album benötigt definitiv seine Zeit, um das volle Potential zu entfalten. „Portishead hinterlassen immer noch das Gefühl, den kompletten Score eines Film Noir ohne die dazugehörigen Bilder erlebt zu haben, mit dem eindeutigen Vorteil, dass sich eben diese individuell in jedem selbst formen. Die Songs sind auch im 21. Jahrhundert tüftlerisch und zeugen von einer besonderen Besessenheit.“ (http://www.laut.de/Portishead/Third-%28Album%29)
Reinhören „Alexander Kluge hat in seinem Leben viel erzählt. „Lebensläufe“ hießen die Geschichten, mit denen der spätere Filmemacher und Fernsehgestalter Anfang der 60iger Jahre erstmals als Schriftsteller öffentlich auftrat. Sie seien „teils erfunden, teils nicht erfunden. Zusammen ergeben sie eine traurige Geschichte.“ Als am Ende des Jahrtausends dann Kluge sein „summum opus“, die vieltausendseitige „Chronik der Gefühle“ vorlegte, so trug deren zweite Hälfte immer noch den gleichen lakonischen Titel: „Lebensläufe“. Zusammen ergaben die Geschichten die traurige Geschichte des 20. Jahrhunderts (beginnend mit dem Urknall).Noch viel mehr hat sich Alexander Kluge in seinem Leben aber erzählen lassen: In seinen TV-Magazinen ist er der geduldige Zuhörer, ein elektronischer Sokrates, der jeden seiner Gäste bis an die Grenze des erträglichen davon erzählen lässt, was ihr Leben und die gesamte Welt im Innersten zusammenhält.
Erzählen / lassen. Für Eigentum am Lebenslauf hat der vielfach ausgezeichnete Hörspielmacher Andreas Ammer die beiden Facetten des Alexander Kluge dialektisch zusammengefügt und daraus für den Bayerischen Rundfunk ein Hörspiel gemacht. Ammer hat Kluge mehrfach in seinem Münchner „Küchenstudio“ besucht und ihn erzählen lassen: Sein Leben, sein Werk, und die Welt. Eigentum am Lebenslauf ist halb Erzählung, halb große Oper, manchmal Lesung, immer Lebenslauf und also „eine traurige Geschichte“, die – wenn nicht von 630 Millionen Jahren – dann vielleicht an dem Tag beginnt, als Kluge sich von Ammer „Techno-Musik“ als Soundtrack für seine Worte wünschte: Console, aka Martin Gretschmann, hat diesen Wunsch grandios mit seinem Soundtrack erfüllt. Nur am Ende, nach der großen Katastrophe, quaken die Frösche.
„Was wir einen ‚Lebenslauf‘ oder ‚Wirklichkeit‘ nennen, sind Kokons der Wahrnehmung, die uns schützen. Ob sie etwas Reales sind, dürfen wir bezweifeln. So leben wir, in Lebensläufen und auf Kontinenten verteilt, kontinuierlich und erfahren in verschiedenen Wirklichkeiten.“ (Alexander Kluge)