Das bislang letztes Album von Sade – die Soldier of Love (2010) konnte mich bislang nicht überzeugen – soll auch mal wieder hervorgeholt werden. Zu einem Zeitpunkt, in dem die Welt auf so viele Arten aus den Fugen gerät: Krieg, Klimakatastrophe, Energie- und Lebensmittelkrisen. Passt da dieser sanfte Beat überhaupt? Sade, deren Musik sicher gern an den Lautsprechern der Bars und den Lounges der Welt gespielt wird, eben weil sie passt, sich in den Raum einfügt und unaufdringlich bleibt. Damit bleibt sich aber auf das erste Hören auch unverdächtig. Genau das ist jedoch eine Stärke von Sade, die sie sich meines Erachtens mit Künstlern wie Tracy Chapman oder Susan Vega teilt. Denn neben aller musikalischen Gefälligkeit und Unaufdringlichkeit liefern die Song auch Botschaften, haben eine Message, die gar nicht beliebig, zugleich aber gut verpackt ist. Und so unterwandert Sade mit dem einen oder anderen Titel die akustischen Türsteher und Kontrollzentren in Kaufhäusern, im Radio, an der Bar oder sonst wo und bekommen die Chance, zu Wirken und auf ihre Aussagen aufmerksam zu machen. Immer wieder fällt mir dies bei Sade auf. Ein bisschen wie ein musikalischer Guerilla (ich hoffe, ich erzeuge nun keine falschen Bilder in den Köpfen). Denn wenn sie erstmal an den Plätzen ist und gehört wird, werden ihre kritischen Songs wahrgenommen und können dazu beitragen, die Welt ein bisschen besser zu machen. Ob es klappt? Die Hoffnung stirbt zum Schluss…
Neben all dem Politischen sei aber auch anzumerken, dass es ein wirklich gutes sowie klassisches Sade Album ist, welches nach acht Jahren Ruhezeit veröffentlicht wurde. Ohne pompöse Gastauftritte bekommt man hier reine und klare Musik von Sade, voll von Wärme, Liebe und schwebendem Funk & Soul. Und dieser Sound passt immer. Insofern: Meine Empfehlung für den August 2022.
Eine eigene Bildassoziation zum Album, und hier insbesondere dem Titel „King Of Sorrow“ habe ich auch, denn die Musik von Sade hinterlässt bei mir stets ein paradoxes Gefühl von leichter Schwere und gelöster Trauer. Wie das Klingelschild, welches ich auf Reisen sah und das aus der Ferne traurig dreinblickt, aus der Nähe aber auch was skurriles hatte… Me
Hinter Polygon Window verbirgt sich Richard D. James, besser bekannt als Aphex Twin. Das Album ist die zweite Veröffentlichung der Artificial Intelligence Serie von Warp Records in den 90er Jahren.
Man hört dem Album die Bandbreite musikalischen Wirkens von Aphex Twin an. Die Tracks oszillieren zwischen Ambient und Rave – eine Sammlung abstrakter Elektronik-Sounds, die Monotonie mit Hyperaktivität sowie Melodien und Störungen miteinander verknüpft.
Das Britische Musikmagazin Fact kürte 2012 das Album auf Platz 26 der Top 100 Alben der 1990er Jahre und Pitchfork kürte es ebenfalls auf den 26sten Platz der Top 50 IDM Alben aller Zeit. Wenn das keine Würdigungen sind!
Zugegeben, ich brauche eine gewisse Stimmung, um Polygon Window aufzulegen – aber das gilt wohl bei jeder Musik. Aber im Gegensatz zu vielen anderen kann ich den Sound von Polygon Window nicht nebenbei plätschern lassen. Es ist keine Fahrstuhl-Musik, sondern sie nimmt den Raum ein und will Aufmerksamkeit.
Bei meiner Bildassoziation ist der Name Programm, auch wenn es nicht ganz trifft: Polygon Window. Der Kongreß von Buenos Aires in einer Spiegelung am gegenüberliegenden Haus.
(C) Lars Kilian: Polygon Window CC BY SA 3.0 DE
Eines der träumerischen Stücke „If It Really Is Me“ hier als Video:
Treffen mit Laurie Anderson auf dem TFF in Rudolstadt
Mal zu Beginn keine Platte…
Wie ein Teenager, der einen seiner gaaaanz großen Stars trifft, fühlte ich mich, als Laurie Anderson im Rahmen des Rudolstädter Tanz- und Folkfestes 2007 gastierte und ich sie, wenngleich nur kurz, treffen konnte. Ein Bild mit uns beiden fiel immerhin ab, worüber ich mich wirklich freue. (ich bin der auf der linken Seite :-))
100 DM bekam 1989 jeder DDR Bürger als Begrüßungsgeld beim erstmaligen Besuch der BRD in die Hand gedrückt. Ich erinnere mich genau daran. Und was macht man mit dem Reichtum? Ich schleppte es in die WOM – World Of Music und kaufte mir Platten, was nicht unbedingt jeder in meiner Familie verstand und gut fand. Zumal nicht „so viel“ dabei zusammenkam, denn den Hauptanteil an meiner Investition verantwortete das 5-fach Album „United States“ von Laurie Anderson.
Anders als viele mir damals bekannte durchbrach die Performance-Künstlerin Grenzen zwischen Pop, Electronic und Avantgarde, zwischen Gesang und Gespräch, zwischen Melodie und Disharmonie, zwischen Tradition und Experiment,
Ich konnte ihrer Musik folgen und fand/finde ihre Geschichten, Ideen, Themen spannend, die sie zu bieten hat. Bemerkenswert war damals u.a. das Example #22, in welchem sie zeigt, wie sie paranormale Stimmen auf Tonband bannte. Oder ihr „Hit“ O Superman mit dieser herrlich monotonsten Präsentation von Musik und Gesang.
Ein Dauerthema ist für Laurie Anderson die Sprache mit all den Irrungen, Wirrungen, Chancen, Risiken und Nebenwirkungen. So berichtet sie auf dem Album von derPlakette, die auf der Pioneer-Raumsonde angebracht ist, in der Hoffnung, Außerirdische würden die Botschaft verstehen und könnten Kontakt mit uns aufnehmen – sofern sie die Plakette finden. Man sieht Mann und Frau, dahinter die Sonde im gleichen Maßstab zu Menschen, links daneben die Sonne in Position zu Pulsaren im All. Im unteren Teil die „Navigationshilfe“ zur Erde (inkl. Weg der Sonde aus dem Sonnensystem) und oben die Hyperinfrastruktur von Wasserstoff. Wir können das Spalten! Laurie Anderson stellt fest, dass in manchen Kulturkreisen die gehobene Hand auch heißt „Auf Wiedersehen“. In Verbindung mit den Wasserstoff könnten Außerirdisch auch denken, dass diese Plakette ein Abschiedsgruß der Menschen ist, kurz bevor sie sich selbst zerstörten (und davor waren/sind wir nicht immer ganz weit weg…). Damit hätte die Plakette das genaue Gegenteil erreicht, denn ein Besuch der Erde wäre dann nicht mehr nötig 🙂
Laurie Anderson unterhält, lädt zum Nachdenken ebenso ein wie zum Lachen über sich und die kleinen und großen Dinge der Welt, sie geht Abwege in ihrer Musik, indem sie neue Instrumente erfindet, die neue Töne und Bewegungen bei Musikern erfordern und so weiter.
Gut investiertes Begrüßungsgeld – bis heute.
Ein Bild habe ich auch zum Album, wobei es mir sehr schwer fällt, hier überhaupt eins auszuwählen. Denn bei Ihrer Musik entstehen viele Bilder im Kopf, die umgesetzt werden können. Einem Zufallsfund eines Grafitti „Künstlers“ in Kaiserslautern konnte ich nicht widerstehen und musste den Auslöser drücken. Die doch ziemlich weiße Wand, dazu die heruntergelassene nicht ganz so weiße Jalousie und das „fast apokalyptische Wort“ in Rot waren für mich eine super Kombination für einen Bildausschnitt, der mir bestätigt: Language is a virus from outer space (William S. Burroughs)
„Language Is A Virus From Outer Space“ (C) Lars Kilian 2020
Das zum Bild passende Video anbei. Leider nicht vom Live-Konzert des Albums „United States“, sondern vom Album „Home Of The Brave“, aber man kann erahnen, was so auf der Bühne mit ihr los war. Da wäre ich sehr gern dabei gewesen…
Es geht auf Weihnachten zu und damit kommt auch das Heilige in unseren Breitengraden stärker zum Tragen. Zeit für Andreas Ammer und Ulrike Haage, die auf ihre Art den Heilgen Geist zum Tanzen bringen. Auf diesem Album, oder ist es ein Hörspiel (?), tauchen die beiden ein in die Welt der Märtyrer, dem (bürokratisch formalen) Akt einer Heiligsprechung, der Symbole, der Sagen und Mythen, der Verehrungen der Heiligen (allein bei Johannes Paul II gab es über 250 Heiligsprechungen) und und und erzählen dabei zahlreiche Geschichten über Wunder und wundersames. Sie streifen durch vergangene Äonen und verweben sie mit der Jetztzeit, wenn Radio Maria zum Klingen kommt oder TV-Prediger durch den Sampler gejagt werden. Stimmlich hervorragend getragen wird dieses Arrangement von Katharina Franck, Ben Becker und Phil Minton. Fazit: Das Album bringt eine heilige, aber keine stille Nacht.
Meine Bildassoziation mit dem Album: Ein Foto aus der wahrlich beeindruckenden, leuchtend goldenen und reich verzierten Königlichen Kapell in Palermo
Schon über 30 Jahre alt. Oh je. AG Geige prägte meine Jugend, definitiv! Auf Yachtclub + Buchteln finden sich meines Erachtens die ersten Aufnahmen von dieser Formation, die seinerzeit auch mal auf Tape kursierten (wennngleich ich nicht mehr weiß, ob das eine legale Kassette war oder diese wieder und wieder kopiert wurde). Aber ich erinnere mich noch daran, wie ich diese Sounds und Texte erstmalig hörte und ziemlich fasziniert war. Ich meine, es war Mitte der 80er, Pop dödelte vor sich hin und elektronische Soundexperimente hinter der Mauer waren eher selten. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese vier Chemnitzer zur damaligen Zeit sicher auch so manche Vertreter des Staatsapparates vor einige Herausforderungen stellte 🙂 Dazu die Lifeperformance… Wer sich für die Seitenwege deutsch-deutscher elektronischer Musik interessiert, dem kann ich dieses Album ans Herz legen. Viel Spaß!
Wow. 23 Jahre alte Scheibe. Und gefühlt nicht veraltet! Mit Drome dekliniert Burnt Friedmann die Spielarten des Downtempo auf durch und geht dabei natürlich seine eigenen Wege. Damit verbunden: 2 Effekte. 1. Es klingt wieder sehr eigen, sehr durchdacht und handwerklich ausgezeichnet. 2. Es ist, wie die meisten Sachen von Friedmann, deutlich unterschätzt und auch unbekannt geblieben. Elektronische Kombinationen von Dub, Reggae, Hip-Hop, House und Jazz, Musique Concrète und Technoversatzstücken. Schöne Titel wie „Hinterland, Kassler Kessel“ „Hoax! What did you got?“ oder „Nuzzling“ machen schon neugierig, was da wohl zusammenkombiniert wurde und die Stimmensamples, die ich schon bei Some More Crime verehre, werden auch hier atmosphärisch, fast beiläufig eingesetzt und bieten eine gute Schanze, eigene Geschichten aus den losen Sätzen zu ersinnen.
Ich sollte mal schauen, was Burnt Friedmann aktuell so treibt (leider ist Jaki Liebezeit, mit dem er manch gutes Album erspielte, ja jüngst verstorben 🙁 )
Ravepunk mag ich ja seit der akustischen Begegnung mit Saalschutz. 110% Energie und gute Laune vertreiben Trübsinn und Schwere an grauen Tagen. Frittenbude aus München haben davon jede Menge im Gepäck und seit ihrem legendären Auftritt auf dem Parkplatz vor dem Melt! Festival bewiesen, dass sie es mit dem Spaß auch wirklich ernst meinen. Luftige Melodien auf schweren „Basslastern“ graben sich vor zur „Hirndisco“ von „Superschnitzelkönig und Superschnitzelqueen“, während Frittenbude ruft: „Wir suchen ein Label mit Knebelvertrag, dass uns komplett in Verruf bringt““ Derartige Wortschöpfungen zeigen, wohin die Reise bei Frittenbude geht. Bleibt nur noch die Frage für ich offen, ob sie die ersten mit den Pandabären waren und dieses Tier in die Szene einführten…?
Gute Pfeile gibt es immer mal wieder. Sei es bei Robin Hood, der sie für die Gerechtigkeit verschießt oder bei Amor im Auftrag der Liebe. Auch Tunng haben sie in ihrem Köcher bzw. auf ihrem dritten und vielfältigen Album nachgelegt, die man bei jedem Hören aufs Neue zu spüren bekommt . Sie verbreiten gute Laune, Leichtigkeit und Gelassenheit. Und bei jedem ihrer Songs glaubt man Tunng sofort, dass sie die Guten sind. Aber wo viel Licht, da viel Schatten. Irgendwo in ihren bunten Arrangements des Folktronica verstecken Tunng „das Dunkel“, dass nur darauf lauert, den Hörer im heitersten und unachtsamsten Moment zu erschrecken. Also vorsicht!
„Ein bisschen Paul Simon und ein bisschen Bright Eyes, ohne altmodisch oder künstlich zu klingen – auf ihrem dritten Album haben Tunng den goldenen Schnitt zwischen poppigen Melodien, elektronischen Basteleien und folkig-melancholischen Stimmungen entdeckt. „Good Arrows“ ist ein Album, das bei jedem Anhören neue Facetten gewinnt. Zwischen den Wänden eines engen Kellers erschufen die Briten weite, verführerische Klangwelten.“ (Quelle: http://www.laut.de/Tunng/Alben/Good-Arrows-22068)
Reinhören Wer einem Sonnenaufgang die Aufmerksamkeit entgegenbringt, die diesem gebührt, wird sehen, dass er trotz seiner Alltäglichkeit nie identisch und mit ihm eine unbeschreibliche Komplexität verbunden ist. Dieser Gedanke kam mir heute beim Hören des immerhin schon 18 Jahre (!!!) gereiften Radiohead Albums „OK Computer“. Das Album verbrachte lange Zeit in einer Twilight-Zone meines Musikschranks und ich konnte mich nicht für oder dagegen entscheiden. Aber, nachdem ich mir die Zeit zum Zuhören nahm, entfaltete es mir einen unglaublichen Kosmos, den man wahrlich nicht alle Tage hören kann. Er erinnert mich an Konzeptalben von Pink Floyd, trägt die Melancholie, die sich Bright Eyes findet, hat die Kraft von Interpol und die Zuversicht von B.Fleischmann – um mal einige Assoziationen zusammen zu tragen… Es ist in der Tat ein sehr gelungenes Stück Musik, zu Recht mit dem Grammy Award for Best Alternative Music Album ausgezeichnet. Und so hat es sich nun doch in meinem Plattenschrank einen festen Platz reservieren können 🙂
Reinhören Weihnachstzeit. Die Plätzchen sind gebacken und wohl schon fast von allen Tellern verzehrt… Und, waren sie lecker? Ich hoffe, doch! Wie die Plätzchen ein geschmackliches Gesamtvergnügen darstellen, die aus einer Vielzahl von Zutaten bestehen, von denen einige allein gar nicht schmecken würden, so ist die Musik von den Books zubreitet. Samples werden an- und übereinander geschichtet, Harmonien verbinden scheinbar zusammenhangsloses und Brüche überraschen die akustische Wahrnehmung, bevor es diese sich in Gefälligkeit breitmachen kann. Eine wirklich bemerkenswerte Gruppe, die nicht nur mit so vielen Sounds tüftelt und variiert, wie man es sonst von Matthew Herbert, Some More Crime oder Senor Coconut gewohnt ist. Zahllose, in die Soundstrukturen eingewobene Sprachfetzen – scheinbar entnommen aus Rundfunk- oder Filmsequenzen – führen mit sich oder dem Hörenden eigene bzw. eigenartige Dialoge. Dabei schaffen The Books trotz der ständigen Unruhe eine Wärme, wie sie mir von Lemonjelly, CocoRosie oder Notwist bekannt sind. Es ist eine unglaubliche Mixtur, die hier aufgefächert wird. „Experimental-Musik im Endstadium. Oder doch der Anfang einer neuen Sichtweise von Pop. Man hatte die Wahl“ (Quelle). Und ähnlich wie beim Essen der Kekse bleibt es jeder/m Einzelnen Überlassen, zu entscheiden, ob es schmeckt oder doch eine Brise zuviel Zimt genommen wurde… Aber probieren sollte man doch auf jeden Fall.