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Dub Taylor – Detect (2001)

Bildquelle: Discogs

Clubzeit ist angesagt! Mein Album für den April bringt Schwung in die Hüfte. Mittlerweile 20 Jahre alt, rotiert es schon seit langer Zeit in meinem CD Player und erfreut mich stets aufs Neue. Man hört noch, dass Alex Krüger aka Dub Taylor vom Dub Techno kommt, aber diesen nun mit luftigstem House würzt. Da zuckt das Tanzbein und freut sich auf den Tanz in den Mai.

Spannend an der Musik ist dieser gekonnte Mix von Minimaltechno mit der atmosphärisch dichten und warmen Klängen, zum Teil gepaart mit leichtem Gesang. So wirken die Sounds zwar einerseits sehr abstrakt-mathematisch, bekommen auf der anderen Seite etwas beseelt-individuelles. Party on!

Wenn ich dieses Album höre und versuche, es mit eigenen Fotos zu assoziieren, denke ich oft an Bilder, die Farb- und Flächenstrukturen zeigen. Irgendwie ähnlich dem Cover des Albums, wir mir jetzt erst auffällt. Aber irgendwie genügt das nicht. Es braucht mehr Leben auf so einem Foto. Und so fiel mir ein Schnappschuss ein, den ich in Warschau machte. Ein Werbeplakat mit irgendeinem austauschbaren Supermodel, das für irgendwas ebenso Austauschbares warb. Mich erfreute an diesem Motiv der dicke fette Kussmund, den irgendjemand diesem 0815-Model-Foto auf die Stirn drückte. Zusammen mit den Reflexionen der Lampen und des Screens auf dem Glas der Werbung drückt es das aus, was ich mit dem Sound des Albums verbinde. Passt – doppelt. Gerade weil es den smoothen Titel „Sweet Lips“ auf dem Album „Detect“ gibt

„Sweet Lips“ (C) by Lars Kilian 2022

St. Germain – Boulevard (1995)

Mit Boulevard hat Ludovic Navarre (aka St. Germain) einen ziemlichen Kracher hingelegt und in der Mitte der 90er Jazz in neuen Spielarten ausgelotet. Die Verbindung mit Elementen elektronischer Musik, dem Beat des House und Dub erregte so viel Aufmerksamkeit, dass für das Nachfolgewerk sogar das legendäre Label Blue Note anklopfte! Das Album wurde als jazzigste Houseplatte oder houseigste Jazzplatte gefeiert. Ludovic Navarre nennt es einfach easy listening underground house music, den er da mit weiteren Musikern einspielt. Funktioniert im Club, in den Bars, im Auto und zu Hause und sicher auch auf dem Boulevard in St. Germain – da hab ich das Album aber noch nicht getestet… Auf nach Frankreich!

DJ Koze – Amygdala (2013)

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Die Amygdala, so belehrt mich Wikipedia,  “ spielt allgemein eine wichtige Rolle bei der emotionalen Bewertung und Wiedererkennung von Situationen sowie der Analyse möglicher Gefahren: Sie verarbeitet externe Impulse und leitet die vegetativen Reaktionen dazu ein“ (Quelle). Stefan Kozella ist ja immer wieder für einen Spaß zu haben aber manchmal war es mir doch auch etwas „too much“. Daher tat ich mich auch schwer, das neue Album von ihm gleich begeistert aufzunehmen. Ein Gag funktioniert ja meist nur einmal, dann ist die Luft raus (außer bei seinen Projekt „International Pony“! :-)) Wie auch immer, Amygdala ist durchaus ein „klassischer Koze“. Wieder werden Sounds von oder mit anderen verbraten, nachdem sie auf Irr- und Umwegen im immateriellen Kosmos von DJ Koze umherrirrten, um dort immer an Konzentrat zu gewinnen und sich in fast neuem Gewand zu präsentieren. Mit von der Partie (Party?) sind Caribou, Apparat, Matthew Dear, Dirk von Lowtzow, Milosh oder auch Hildegard Knef (!). Gerade bei letztgenannter ist der Song eine echt hingebungsvolle Hommage, der eigentlich das Original sein könnte. Amygdala, so merke ich, greift behutsam aber nachdrücklich mein emotionales  Ich an. Guter Titel, gute CD. Geht immer wieder und überalle: Beim Essen und Talken, beim Autofahren und Tanzen, aber auch zum Entspannen. 

D.Diggler – Feel My Heat (2000)

„Unverständlich beladen mit einem Titel wie von einer späten 70er Discoplatte, hat D. Digglers Musik mit dessen Dynamiken so gar nichts gemein. Ebenso wenig wie der irgendwie Schwere assoziierende Titel seiner wohlgelittenenen ersten Maxi „Boogiemonster“, ein außergewöhnlich grooviges Stück Tanzboden, dem keine Hüfte entkommt, die nicht verknackst ist.

Außerordentlich die stringente Coolness, die auch das gesamte Debüt-Album von Andreas Mügge alias D. Diggler aus Hanau, der schon im Alter von zwölf Jahren Schlagzeuger in Papas Jazzband war. Ein Musiker also, der’s auch anders kann, was wiederum dem Album zu Gute kommt und es heraushebt aus der Masse der elektronischer Musik, die intelligent ist, aber nicht Drum & Bass, sondern monorhythmisch.

Eine Minimalproduktion, die ihre erstaunliche Effektivität der bis auf die Knochen ausgedünnten Arrangements nicht simplem Weglassen verdankt, sondern der immer genau richtigen Auswahl weniger, sehr transparenter Harmonien. Der Diggler versteht es, das beste der vielen technischen und technoiden Welten zwischen House, Electro, Funk und Dub zu einem musikalisch gehaltvollen Album mit lecker Popappeal zusammen zu ziehen. (Rolf Jäger)“ (http://www.amazon.de/Feel-My-Heat-D-Diggler/dp/B00004SR69/ref=sr_1_fkmr1_1?ie=UTF8&qid=1305017611&sr=8-1-fkmr1)

D.Diggler bei facebook

Herbert – 100lbs (1996 / 2006)


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Vor zehn Jahren erschienen und heute noch toll: Matthew Herberts sparsames House-Album „100 lbs“ wird dieser Tage wiederveröffentlicht

Anfangs war es unter Techno- und Houseproduzenten verpönt, ihre Momentaufnahmen anders als auf den kurzlebigen Vinyl-Maxis festzuhalten. Die Euphorie von gerader Bassdrum, Schweiß und Liebe in Albumlänge, das erschien als Widerspruch. Der Brite Matthew Herbert erkannte jedoch früh, dass eine Reihe von „günstigen Augenblicken“ oft erst im Rückblick miteinander ihren ganz speziellen Gerinnungsfaktor zwischen Genese und Geschichtswerdung ausbilden.

Unter den Pseudonymen Wishmountain und Doctor Rockit hatte er Abenteuerliches aus verspieltem Elektro und hart knallender Musique Concrete fabriziert, um schließlich als Herbert seine House-Maxis Part One bis Part Three zu veröffentlichten. 100 lbs vereint all dies zum ersten Langspielwerk, mit ihm zog er im Jahr 1996 ein Resümee seiner bisherigen Laufbahn im Klangbastelstudio und auf der DJ-Kanzel.

Zehn Jahre sind seitdem in rasenden elektronischen Schritten vergangen, jetzt bringt das Label !K7 Herberts Höhepunkte quasi zum dritten Mal und gleich als Doppel-CD heraus: 100 lbs und eine Bonus-Silberscheibe mit Aufnahmen von 1995 bis 2000. Im Unterschied zum saftigen, schwülen Discosoul aus der Wiege der klassischen House Music in New York und San Francisco schuf er den wohl trockensten Minimalismus, den diese Musik des Überschwangs vertragen kann. Sein Klangspektrum speist sich aus kühlen akustischen und hellen elektronischen Quellen, entsprungen in einem anderen Universum als die charakteristischen schrill nach oben geschraubten Vokalchöre und das sonst übliche HiHat-Gezischel.

Kalte Schüsse wie aus ungeladenen Feuerwaffen klicken ins Leere, verpuffen als klapperndes Elektro-Stakkato in der stehenden Luft zwischen den Beats. Dennoch sind Herberts Vierviertel nicht weniger warm und treibend, der funky Bass knötert und gniedelt in Thinking Of You, orgelt sich ganz nah ans Herz. Anderswo knistern Keyboard-Cluster im Rückwärtslauf, Sirenen vom Synthesizer zirpen von fern über die Stimmen freundlicher, fast zärtlicher Animateure aus dem Computer: Let‘s disco! Das wirkt nur noch erhitzender im kühlen Ambiente der sparsamen Effekte, gerade so, als schwebten die Leuchtblasen einer Lavalampe befreit durch einen metallgrauen Winterhimmel.

Wie eine hochsensible Skala misst das Stück Friday They Dance durch den Raureif seiner zehnjährigen Geschichte den Freitagabendpuls auf und neben dem heutigen Dance Floor. Die Stile elektronischer Tanzmusik haben seitdem häufig gewechselt, Herberts 100 lbs war und bleibt ein Gegenpol der entspannten Reflexion zu den markanteren, wuchtigeren Sounds von Drum&Bass und BigBeat.

Auch wenn die B-Seiten und Raritäten auf der Bonus-CD manchmal dezent den Acid-Turbo quietschender Rhythmusmaschinen anschmeißen und die Partystimmung höher kochen lassen, Ursprung und Idee eines Klangs sind Matthew Herbert nach wie vor am wichtigsten. In seinem diesjährigen Werk Scale hüpfen Pop und Politik als bunt getarnte Flummis, die ihre geräuschhafte Herkunft nicht preisgeben, auf die Tanzfläche. Doch hier winkt jetzt erstmal mit der vieldeutigen Floskel See You On Monday das letzte der Jubiläumsstücke lässig zum Abschied.“ (http://blog.zeit.de/tontraeger/2006/11/29/minimal-im-uberschwang_244)

http://www.herbert-100lbs.com/ – Webseite zur Platte

Herbert – Around The House (1998, 2002)

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„Für viele schien Matthew Herbert 2001 mit seinem Album „Bodily Functions“ und der dazugehörigen Single „Leave Me Now“ (inkl. einem Remix vom Detroiter Housemeister Recloose, von dem wir demnächst noch einiges hören werden) scheinbar aus dem nichts aufgetaucht zu sein. Tatsächlich ist er unter einer Vielzahl von Pseudonymen wie Dr. Rockit, Radioboy, Wishmountain oder eben Herbert bereits seit 1995 in Sachen Houseinnovation unterwegs und hat seine Visionen für den perfekten Housesound Ende 2000 in seinem Manifest „Personal Contract For The Composition Of Music“ (PCCOM) definiert.

Aufgrund dieses Regelwerks verzichtet er unter anderem auf Drumcomputer und bereits existierende Sounds, wie sie etwa bei Keyboards vorgegeben sind, betrachtet jedliche Fehler, die sich bei der Produktion einstellen, als Inspirationsquelle und beschränkt die verwendeten Samples fast ausschließlich auf Alltagsgeräusche. Letzteres hat er 1996 eindrucksvoll vorexeziert, als er im Zuge einer Clubtour als Dr. Rockit mit einer ganzen Küche auftrat und die dazugehörigen Geräusche wie Türenzuschlagen, scheppernde Teller bis hin zu raschelnden Mülltüten als Soundelemente einsetzte.

Bevor Herbert dazu überging, für „Bodily Functions“ seinen Housesound unter anderem mit Körpergeräuschen (damit sind natürlich das Klopfen auf den Bauch, Herztöne etc. gemeint und nicht das, was man im ersten Moment vielleicht annehmen könnte) äußerst organisch zu gestalten, beschränkte er sich 1998 auf seinem Album „Around The House“, das K7! dankenswerterweise nun wiederveröffentlicht, entsprechend dem Albumtitel noch auf Geräuschquellen, die er in den eigenen vier Wänden aufspürte und machte so gesehen in zweifacher Hinsicht Housemusik.“ (http://www.musicchannel.cc/index.php?page=http://www.musicchannel.cc/music_stories/1/645644)

Herbert – Scale (2006)


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„Matthew Herbert ist ein musikalisches Wunderkind – in ihm wohnen so viele kreative Kobolde, daß er in hundert verschiedenen Erscheinungsformen auftritt. Er veröffentlichte Platten als Doctor Rockit, Wishmountain, Radio Boy, Transformer, und das sind nur einige seiner ungezählten Pseudonyme.
Er produzierte Roisin Murphys Soloalbum Ruby Blue, außerdem remixte er REM, Björk, John Cale und Serge Gainsbourg. Für sein letztjähriges Album Plat du Jour sammelte er Geräusche aus dem Themenbereich „Essen“: wie hört es sich an, wenn 300 Menschen gleichzeitig in einen Apfel beißen und wie klingt ein Brathähnchen? Klingt es überhaupt irgendwie? Er sampelte das Rascheln von Corn Flakes und brachte Alufolie zum Tanzen, aber im Vordergrund stand weniger die verspielte Anhäufung von Klängen, sondern die Bewußtmachung der Herkunft von Nahrung. Deshalb werden auch unbequeme Aspekte wie Massentierhaltung thematisiert – diese skurrile und gleichzeitig hochpolitische Platte gehörte zu den interessantesten Veröffentlichungen des Jahres 2005 und lohnt die Entdeckung noch immer. Für das neue Album Scale nennt sich Matthew nur noch Herbert – die Reduktion beziehungsweise Konzentration auf den einen, eigenen Namen ist nur folgerichtig. Auf Scale spielt Herberts Songwriting wieder die bedeutendste Rolle, herausgekommen sind 11 Pop-Kleinode, die im besten Sinne zeitlos sind. Der Sound ist leicht und dennoch opulent ausgestattet – ein Kammerorchester erklingt, Holzbläser, Waldhörner und Big-Band-Musiker werden mit viel Liebe zum Detail eingesetzt. House und Jazz, Disco und Musicalmelodien gehen Hand in Hand, an den Vocals wird Herbert von Dani Siciliano, Neil Thomas und Dave Okumu unterstützt.
Scale ist Party und Soundtrack zugleich. Song Nummer drei, Moving Like A Train verbindet Herberts Liebe zu Prince und Fünfzigerjahre-Orchestrierung, Down und Movie Star sind absolut loungekompatibel. Doch der Opener Something Isn´t Right verweist darauf, daß man nicht alles, was man hier zu hören bekommt, auf die allzu leichte Schulter nehmen sollte …
Trotz der Burt-Bacharach- oder Gershwin-haften Leichtigkeit und der Ohrwurmqualitäten aller Songs ist Scale ein typisches Herbert-Produkt und deshalb versteht es sich beinahe von selbst, daß für die Aufnahmen ungewöhnliche Gegenstände und Sounds verwendet wurden (Särge, Benzinpumpen, ein Tornadobomber der Royal Airforce), die in Zwölfer-Gruppen aufgeteilt wurden – als Anspielung auf das westliche Skalensystem mit jeweils 12 Tönen. Die Skala, scale impliziert weitere Bedeutungen: den Maßstab, ein Medium zum Abmessen von Abständen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, den Kontrast zwischen persönlicher Befindlichkeit und dem Zustand der Welt und viele Deutungen mehr. Herbert wollte ein leichtes, poppiges Album machen, vordergründig ist ihm das gelungen – doch unterschwellig ist sie ebenso kritisch, nachdenklich und politisch geworden wie alles, was (Matthew) Herbert veröffentlicht.“ (http://www.satt.org/musik/06_07_herbert-mills.html)

http://www.herbert-scale.com/ – Webseite zum Album

http://www.matthewherbert.com/ – Herberts offizielle Webseite