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Andreas Ammer & F.M. Einheit – Crashing Aeroplanes (2001/2002)

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Andreas Ammer findet für seine Hörspiele Themen, die Abseits des Mainstreams liegen. Sei es die Vertonung der Insektenwelten (Bugs & Beats & Beasts), eine Hommage an Walter Benjamin (Loopspool) oder das Projekt „On ‚The Tracks„, bei welchem Personen in verschiedenen Städten der Welt andere Menschen verfolgen und dabei beschreiben, was sie beobachten. Die Liebe zu Details bringt eine sehr persönliche Ebene in die Hörspiele hinein, die das Hörerlebnis noch lebendiger und intimer werden lassen und durch die Wahl geeigneter Musiker (z.B. Console) werden die Grenzen vom Hörspiel zur Konzeptmusik fluid. „Crashing Aeroplanes“ tanzt da nicht aus der Reihe, wenngleich das Thema eine gewissen Brisanz besitzt. Die Texte für das Hörspiel stammen von den Cockpit Voice Recordern, die „anders, als die Piloten, jeden Absturz überstehen.“ (Zitat aus dem Hörpsiel) Ammer widmete sich diesen letzten Minuten von verschiedenen Cockpit Voice Recordern und erstelle eine Collage, die auf ihre Art sachlich und fast schon nüchtern die letzten Sekunden im Cockpit von Flugzeugen dokumentiert, wenn die Technik versagt hat. Musikalisch begleitet dieses Vorhaben F.M. Einheit (Ex-Einstürzende Neubauten), der dezent elektronische Sounds unter die Textfragmente mischt und mit üblichen, aus dem Fliegen bekannten Geräuschen (z.B. das „Bling“, wenn die Anschnallzeichen erstrahlen) anreichert. Brisant war auch, dass die CD im September 2001 veröffentlicht werden sollte, aber aufgrund des damaligen tragischen Zwischenfalls verschoben wurde.  Zu Recht wurde das Werk mit der höchsten deutschen Auszeichnung für Hörspiele, dem Hörspielpreis der Kriegsblinden, 2002 geehrt. Ammer und Einheit schaffen es, das Thema Technikversagen am Beispiel von Flugzeugabstürzen, welches durchaus Potential für eine morbide oder sensationsträchtige Herangehensweise bietet, neutral aufzuarbeiten und machen deutlich, dass Sicherheit in der technisierten Welt fragil ist und nie abschließend gegeben ist. Mir stellt sich beim Anhören die Frage, ob Piloten in diesem wohl schlimmsten Fall tatsächlich so entspannt bleiben, wie es auf der CD zu hören ist, oder hier eine geschickte Auswahl an O-Ton Dokumenten den sachlichen Blick auf das Thema nicht versperren soll.

Biografische Informationen zu Andreas Ammer bei laut.de

The Notwist – Neon Golden (2002)

Hörprobe

„Ich habe in meinem Zimmer ein Denkmal aufgebaut. Es ist ein schwarzer, ca. einen Meter hoher Monolith aus Kohle mit quadratischem Grundriss. Darauf steht ein majestätisch anmutendes rotes Pappding. Goldenes Neonlicht strahlt davon aus. Es ist ein Denkmal für das, was mir den Tag gerettet hat. Auf neue Notwist-Platten zu warten war schon immer etwas Besonderes. Natürlich können wir Musikjournalisten so eine Vorfreude gar nicht mehr nachvollziehen, weil wir immer mit Vorab-CDs versorgt werden. Aber als ich hörte, dass die Plattenfirma diesmal nur Tapes verschickt, beschloss ich zu warten. Natürlich konnte ich nicht umhin, die erste 12-Inch “Trashing Days” zu kaufen.

Und am Video zu “Pilot” kam man ja auch nicht vorbei. Aber ich habe noch keine einzige von den Reviews in den Mitbewerberblättern gelesen, nur das, was mein Freund Säm mir geschrieben hat. Er war außer sich. Ich war gespannt. Fünf Tage vor der Veröffentlichung habe ich die CD dann doch im Briefkasten. Das erste Stück heißt “One Step Inside Doesn’t Mean You Understand”. Eine Warnung vorneweg? Das Stück ist schön. Nicht mehr, nicht weniger. Dann kommt “Pilot”. Kenne ich, finde ich eher enttäuschend. Notwist machen Popmusik. Das sollen sie nicht. Beim dritten Lied liege ich dann am Boden. Das sind die Notwist, die ich liebe, das ist, was ich erwartet, was ich erhofft hatte. Da sind die kalten Schauer wieder auf meinem Rücken, die ich von “No Encores” auf der letzten Platte “Shrink” kenne. Bei “Trashing Days” sind Notwist ein bisschen die Pet Shop Boys – dürfen sie. Ab jetzt dürfen sie alles. Auch Lieder wie “Pilot” machen. Bei “This Room” sind sie sie selbst zur Zeit des “12”-Albums. “One With The Freaks” ist das “Chemicals” dieser Platte. “Off the Rails”, oh, das kenne ich auch schon in ähnlicher Version vom Soundtrack des Films “Crazy”, ist ein Sonnenstrahl in einer verschneiten Winterlandschaft. Entschuldigt mich kurz, ich muss weinen. Das ist, was ich gedacht und gefühlt habe, als ich “Neon Golden” angehört habe. Es liegt mir fern, tiefenpsychologische Mutmaßungen niederzuschreiben, denn ich bin kein Psychologe, auch will ich keine komplizierten pan-popkulturellen Betrachtungen anstellen, die der Band möglicherweise fernliegen. Außer: Notwist haben ein profitables Angebot eines Majors abgelehnt, weil sie nicht selbst hätten entscheiden dürfen, auf welche Sampler das Label sie wirft. Sie nerven nicht durch Überpräsenz in den Medien, beschwören aber auch nicht die öde Kein-Bock-auf-Interviews-Attitüde. Sie lassen sich wie nur sehr wenige andere Bands von dem ganzen Pop-Trara nicht die Bohne beeindrucken, und sie gehen keinesfalls hausieren damit. Sie haben unmoderne Frisuren und tragen auf der Bühne graue Sweatshirts mit Reißverschluss und uralte T-Shirts von Bands, die niemand kennt. Notwist sind einfach Notwist, und deshalb sind sie furchtbar wichtig. Ich habe sehr viele Gänsefüßchen in diesem Text benutzt, aber die meisten beziehen sich auf Notwist selbst. Das ist es, was der spröde schwarze Kreis auf dem Cover bedeutet. Was Postrock bedeutet, ist mir egal, solange es solche Platten gibt.“ (http://www.intro.de/platten/kritiken/23028705/the-notwist-neon-golden)

Console – Rocket In The Pocket (2000)

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„Im Wohlklang der Störgeräusche. Nachdem Martin Gretschmann das aktuelle NOTWIST-Album mit elektronischen Fluchtlinien verfeinern durfte, ist er nun zum zweiten Mal im Langformat auf sich alleine gestellt. Unter dem Namen CONSOLE repräsentiert er als Exponat seiner Labelheimat Payola undogmatisches Tüftlertum. So zeugt „Rocket In The Pocket“ von einem allgemeinen Interesse an Sound, anstatt die vollendete Reinheit einer Spezialwissenschaft anzustreben. Letztendlich funktioniert das so ähnlich wie die in Alliterationen gekleideten Titel mit einer Vorliebe für Tierarten: Wortschöpfungen, die nicht direkt Sinn anbieten, dafür aber gut klingen. Delay Dackel.

CONSOLE provoziert Assoziationen mit ausgeruhten Beat-Varianten und transformiert von Clubmusikresten bis hin zu Vibraphonklängen die unterschiedlichsten Fundsachen in seine Zuhör-Elektronik. Dort angekommen, enden die einzelnen Elemente allerdings nicht als Fragmentsammlung. Vielmehr offerieren sie in disparater Einheit den Hörerinnen und Hörern an Stelle spektakulärer Extremlandschaften dicht inszenierte Atmosphärenschichtungen. Abseits von Zitatmaschinen und Zeichenpolitik funktionieren diese Stücke auch nach dem Blick hinter die Kulissen.“ (http://www.intro.de/platten/kritiken/23023651/console_rocket_in_the_pocket)

http://www.console.li/ – Homepage von Console

Console – Reset The Preset (2002) (2CD)

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„Spätestens seit dem Zauberer von Oz wissen wir, welch verläßliche Freunde Vogelscheuchen sein können. Und spätestens seit Notwists „Neon golden“ wissen wir auch, wieviel Pop selbst im verschraubtesten Klanggewirr stecken kann. Martin Gretschmann, Berufshornbrille und Laptop-Schlepper bei den famosen Weilheimern, zeigte schon mit seiner Lutscherhymne „14 zero zero“, welches Ohrwurmpotential in ihm und seinem Rechner steckt. Und da er mit seinen Kollegen schon letztes Jahr für einige der schönsten Momente melodischen Indietums verantwortlich war, soll nun auch Consoles drittes Album nach rosaroten Himmeln streben.

Gretschmann, der seine Keyboards mittlerweile wie eine ledernackige Flying V schultert, ist für „Reset the preset“ tatsächlich auf der Suche nach bittersüßen Melodien fündig geworden, ohne selbstverfreilich zu vergessen, sie mit dem Knistern seiner Subroutinen und Algorithmen auszuschmücken. Und natürlich in der Popwelt jenseits des Regenbogens seine eigene Dorothy ins Rampenlicht zu stellen. Miriam Osterrieder heißt sie und schenkt Console das, womit Valerie Trebeljahr bei Lali Puna für den Acher Markus herumzaubert: ihre Stimme. Leicht, zerbrechlich, feingliedrig und gelegentlich sogar nicht einmal von dieser Welt.

Und so gelingt auf „Reset“, der ersten der beiden CDs, ein Treffer nach dem anderen. Im Opener „Your God eats me“ brummelt und quietscht es, bis sich ein unwiderstehlicher Elektro-Groove herausschält. Die übereinandergeschichteten Ecken und Kanten von „Surfin‘ Atari“ entwickeln immer mehr Druck, und der kleine Bastard rockt plötzlich das ganze Haus. Mit dem fröhlichen Stampfen von „Dirt on a wire“ und sentimentalen Atempausen wie „Into the universe“ oder „Secret game“ gerät die erste Basteldreiviertelstunde schließlich zu einem wahren Schaulaufen der Pop-Tricks des Herrn Gretschmann.

All das kulminiert allerdings im phänomenalen Ohrenschmaus „Suck and run“, wo alle Zurückhaltung beiseite fliegt und die Festplatten zu lächeln beginnen. Im Hintergrund imitieren leckere Sägezähne Zerrgitarren, links und rechts zuckt ein flatteriger Rhythmus, und mittendrin näselt Mademoiselle Osterrieder die Sonnenstrahlen herbei. Mit dem womöglich angenehmsten Laufpaß aller Zeiten: „I don’t miss you tonight / That isn’t meant to piss you off one more time / It doesn’t mean you don’t mean a thing to me / But that’s the only way I’ll finally succeed / In being me.“ Wer kann da schon böse sein?“ (http://www.plattentests.de/rezi.php?show=1350)

Björk – Vespertine (2001)

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„Vier Jahre ist es jetzt her, als ihr letztes reguläres Studioalbum „Homogenic“ erschien. Den Soundtrack zu „Dancer In The Dark“ mal ausgenommen.
Ihr Faible für Tüfftler aus der Electroszene scheint sie immer noch zu haben, denn auch für das neue Werk wurden (für einige mehr oder weniger) namenhafte Co-Produzenten wie Matthew Herbert, Martin Console, Matmos und Thomas Knak engagiert um „Vespertine“ den elektrisierenden Schliff zu verpassen. Nach mehrmaligem Hören wird einem jedoch bewusst, dass dieses Album auch ohne interlektuelles Wummern und Zischen ausgekommen wäre. Denn diese Platte lebt ausschliesslich von Björks Stimme, untermalt von melancholischen und dennoch süsslichen Melodien, die zusätzlich von weichen Streichern und dezenten Chören unterstrichen werden. Mit dieser Kombination schafft sie es eine unbeschreibliche Gesamtatmosphäre aufzubauen, die einerseits wunderschön betörend, aber andererseits auch schon fast befremdlich ist. Auch ihre naive, kindliche Art scheint sie diesmal ein wenig abgelegt zu haben. Ihr unverkennbarer Gesang klingt diesmal einfach reifer und ernsthafter (erwachsener? „Aber Björk, Du wolltest doch nie erwachsen werden!“). Zu den absoluten Höhepunkten zählen „Undo“ (meiner Meinung nach einer der schönsten Songs auf diesem Album), „Pagan Poetry“ (energisch & ergreifend), „Hidden Place“ (mystisch) und „It’s Not Up To You“ (einzige Pop-Nummer).
Es ist sehr schwierig dieses Album in Worte zu fassen. Also, jeder der was auf Björk hält, sollte sich schleunigst selbst von den Qualitäten dieser Platte überzeugen.
Auf jeden Fall hat Björk mit „Vespertine“ ein Werk geschaffen, über das man noch in einigen Jahren sprechen wird.“ (http://musique-deluxe.com/html/bjork_vespertine.html)

http://www.bjork.com/ – die offizielle Björk-Webseite

Ammer & Console – Eigentum Am Lebenslauf. Das Gesamte Im Werk Des Alexander Kluge (2007)

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„Alexander Kluge hat in seinem Leben viel erzählt. „Lebensläufe“ hießen die Geschichten, mit denen der spätere Filmemacher und Fernsehgestalter Anfang der 60iger Jahre erstmals als Schriftsteller öffentlich auftrat. Sie seien „teils erfunden, teils nicht erfunden. Zusammen ergeben sie eine traurige Geschichte.“ Als am Ende des Jahrtausends dann Kluge sein „summum opus“, die vieltausendseitige „Chronik der Gefühle“ vorlegte, so trug deren zweite Hälfte immer noch den gleichen lakonischen Titel: „Lebensläufe“. Zusammen ergaben die Geschichten die traurige Geschichte des 20. Jahrhunderts (beginnend mit dem Urknall).Noch viel mehr hat sich Alexander Kluge in seinem Leben aber erzählen lassen:
In seinen TV-Magazinen ist er der geduldige Zuhörer, ein elektronischer Sokrates, der jeden seiner Gäste bis an die Grenze des erträglichen davon erzählen lässt, was ihr Leben und die gesamte Welt im Innersten zusammenhält.

Erzählen / lassen. Für Eigentum am Lebenslauf hat der vielfach ausgezeichnete Hörspielmacher Andreas Ammer die beiden Facetten des Alexander Kluge dialektisch zusammengefügt und daraus für den Bayerischen Rundfunk ein Hörspiel gemacht. Ammer hat Kluge mehrfach in seinem Münchner „Küchenstudio“ besucht und ihn erzählen lassen: Sein Leben, sein Werk, und die Welt. Eigentum am Lebenslauf ist halb Erzählung, halb große Oper, manchmal Lesung, immer Lebenslauf und also „eine traurige Geschichte“, die – wenn nicht von 630 Millionen Jahren – dann vielleicht an dem Tag beginnt, als Kluge sich von Ammer „Techno-Musik“ als Soundtrack für seine Worte wünschte: Console, aka Martin Gretschmann, hat diesen Wunsch grandios mit seinem Soundtrack erfüllt. Nur am Ende, nach der großen Katastrophe, quaken die Frösche.

„Was wir einen ‚Lebenslauf‘ oder ‚Wirklichkeit‘ nennen, sind Kokons der Wahrnehmung, die uns schützen. Ob sie etwas Reales sind, dürfen wir bezweifeln. So leben wir, in Lebensläufen und auf Kontinenten verteilt, kontinuierlich und erfahren in verschiedenen Wirklichkeiten.“ (Alexander Kluge)