Schlagwort-Archive: Breakbeat

Lemon Jelly – Lemonjelly.ky (2000)

Cover, Quelle Discogs

Lemon Jelly sind m.E. ziemlich unter dem Radar der Musikhörenden geblieben, was schade, aber nicht sonderlich verwunderlich ist. Keine Platzierung in den internationalen Charts… Tanzflächen- oder radiotauglich ist die Musik nicht, wobei sie sehr geschmeidig ist und durchaus beim Probehören der neuen Musikanlage beim Fachhändler des Vertrauens dabei sein könnte. Mit dem Album bauen Fred Deakin und Nick Franglen tolle musikalische Bühnen und schaffen sehr dichte, aber stets schwebende Atmosphären. Wunderbar, um darin abzutauchen, mit Kopfhörern in der Bahn zum Beispiel.

Das Erstlingsalbum von Lemon Jelly ist Ergebnis dreier EPs, die im Vorfeld aufgenommen wurden und von der Kritik sehr positiv aufgenommen wurden: The Bath, The Yellow und The Midnight. Auf Lemonjelly.ky wurden diese drei EPs schlichtweg zusammengefasst und bilden ein harmonisches Zusammenspiel, das bei mir den Eindruck erweckt, es wäre ein Konzeptalbum.

Diese Melanche aus sich langsam aufbauenden, groovenden, flächigen Sounds, Rhythmen, die da Bein wackeln lassen und vor allem die eingestreuten Samples mit An- und Aussagen aus irgendwelchen Uni- und Multiversen begeistern mich. Aber ich bin eh anfällig für derartige Soundkonstruktionen und mir fällt sofort Some More Crime ein, wobei Lemon Jelly deutlich gefälliger und schmeichelnder daherkommen.

Das Album nach 20 Jahren nochmal aufzugreifen und ihm hier einen Platz zu geben zeigt, dass es für mich zeitlos ist. Das teilt wohl auch eine Person, die auf Amazon eine kurze Rezension schrieb, die ich gut verstehe:

beim ersten hören war ich, wenn ich ehrlich bin, nicht sonderlich beeindruckt. Nichts wirklich fesselndes. ich konnte sie lediglich gut hören. so war’s das erste mal. doch beim wiederholten anhören
konnte ich nicht genug von diesem werk bekommen. vor allem track 4 und 6! unbeschreiblich..

Quelle: https://www.amazon.de/LemonJelly-KY-LEMON-JELLY/product-reviews/B00YZ79VRW/ref=cm_cr_dp_d_show_all_btm?ie=UTF8&reviewerType=all_reviews

Zeitlos ist ein gutes Stichwort. Ich hatte das Album im Ohr, als ich eine sehr beeindruckende Tutanchamun Ausstellung mit der Familie besuchte. Das Album begleitete uns vorher zufällig auf der Fahrt zur Ausstellung und hallte so in mir nach. Fand ich sehr passend, denn die Zeitlosigkeit der Kunst- und Kulturgegenstände der Ägypter zeigt sich in unserer Faszination. Und auf dem Titel „Page One“ lädt Lemon Jelly die Zuhörer dazu ein, sich vorzustellen, an den Anfang aller Anfänge zu reisen – eventuell die gleiche Reise, auf die die Pharaonen vorbereitet wurden? – „and than: Nothing.“

Lars Kilian „Page One“ 2022, CC BY-SA 4.0

Ammer & Haage – 7 Dances Of The Holy Ghost (2005)


Es geht auf Weihnachten zu und damit kommt auch das Heilige in unseren Breitengraden stärker zum Tragen. Zeit für Andreas Ammer und Ulrike Haage, die auf ihre Art den Heilgen Geist zum Tanzen bringen. Auf diesem Album, oder ist es ein Hörspiel (?), tauchen die beiden ein in die Welt der Märtyrer, dem (bürokratisch formalen) Akt einer Heiligsprechung, der Symbole, der Sagen und Mythen, der Verehrungen der Heiligen  (allein bei Johannes Paul II gab es über 250 Heiligsprechungen) und und und erzählen dabei zahlreiche Geschichten über Wunder und wundersames. Sie streifen durch vergangene Äonen und verweben sie mit der Jetztzeit, wenn Radio Maria zum Klingen kommt oder TV-Prediger durch den Sampler gejagt werden. Stimmlich hervorragend getragen wird dieses Arrangement von Katharina Franck, Ben Becker und Phil Minton. Fazit: Das Album bringt eine heilige, aber keine stille Nacht. 


Meine Bildassoziation mit dem Album: Ein Foto aus der wahrlich beeindruckenden, leuchtend goldenen und reich verzierten Königlichen Kapell in Palermo

 

030 feat. Dr. Motte – Ki (1993)

Ein Oldie im CD Regal, jüngst wieder mal aufgelegt. Dr. Motte, einer der „Chefs“ der Loveparade bis 2006 (?) mit einem aus den 90er Jahren typischen Elektroalbum auf MfS. Trance, Hard Trance, Samples, Voices. Schön abgemischt und (fast schon) als Konzeptalbum aufgebaut. Und – wie ich finde – im Gegensatz zu vielen anderen Techno-Trance Alben der Zeit nicht langweilend/monoton/ideenlos. Wenn es mal den Weg in den CD-Spieler findet, freuen sich die Ohren auch darüber noch immer 🙂

Dr. Motte bei facebook

Dr. Motte bei Wikipedia

65daysofstatic – One Time For All Time (2005)

Reinhören

„’65 Tage‘ meint keine bestimmte Zeitspanne. Nicht die Länge ist entscheidend. Es geht um das Ereignis an sich.“ 65 Tage absoluten Stillstands. Regungslosigkeit. Existenz irgendwo zwischen Sein und Nichtsein. Schier unermessliche Intensität. Ein Quartett aus dem mittelenglischen Sheffield hat sich zur Aufgabe gemacht, die explosive Spannung dieses Ereignisses zu vertonen.

Keine zwölf Monate sind vergangen, seit „The Fall Of Math“ unser Zeitgefühl pointiert wie wenige Platten zuvor in Frage stellte. Material für eine ganze Hand voll Alben war das, was 65dos in eine Dreiviertelstunde flammender Instrumentalromantik verpackten. Zeit schien selten so relativ. Der Nachfolger intensiviert das Moment der Dichte und hebt die Idee, Postrock in Popsongformat zu gießen, auf den nächsten Level.

„Drove Through Ghosts To Get Here“ stottert mit einem Schwall atmosphärischer Drum’n’Bass-Dämonen ins Kopfhörerkino, dem flirrende, heulende und flächige Elektronik fast organisches Leben einhaucht. „Mean Low Water“ ist ein Paradebeispiel solcher Sequenzerkunst: Gitarrenspuren werden bis zum Erdrücken gestapelt, tollwütige Polyrhythmen bis zur Raserei potenziert und Pianos aufeinander gehetzt, bis der Lautstärkeregler anschlägt und das Stück mit irrer BPM-Zahl vollends ins Kakophonie-Chaos stürzt.

Dem unglaublichen Ideenreichtum zum Trotz schaufeln die Briten den Zugang zur Nachvollziehbarkeit immer wieder frei. Der hymnische Cyberpunk von „Await Rescue“ beobachtet zwei seufzende Notebooks beim Heavy Petting, funktioniert jedoch vorrangig als grandioser, in sich geschlossener Track. So geradeaus wie im Mogwai-Aereogramme-Bastard „23kid“ landete der Vierer bisher nie auf Plastik. Und „The Big Afraid“ vertont das Gefühl beklemmender Angst, wie es sonst nur der spanische Experimentierclub Migala vermag.

Aber erst das weltumarmende „Radio Protector“ verleiht dem 37-minütigen Parcoursritt endgültig das Gütesiegel A+: Ein wirklich herzzerreißendes Klavier lädt epische E-Gitarren, passgenaues Schlagzeug und Glockenspiel zum Emotionscrescendo. Monumentale Schönheit steigt per Anhalter zu, bis diese Perfektion von einem berührenden Song die Abfahrt Richtung weißes Rauschen nimmt und schließlich friedvoll ausklingt.

„These are songs with no words, but they are screaming“, weiß das Booklet. Der Satz gehört mindestens doppelt unterstrichen. „One Time For All Time“ manifestiert das Schaffen einer Band, die das bewährte Postrock-Nest seit Anbeginn mit eigener Vision ausfüllt und ihre Unverzichtbarkeit für packende, zugängliche und anspruchsvolle Musik ein für allemal unter Beweis stellt.“ (http://www.laut.de/lautstark/cd-reviews/1-0/65daysofstatic/one_time_for_all_time/index.htm)

Moby – Play (1999)

Reinhören
Was für andere Leute das Rauchen, ist für Großstadt-Eremit Moby das Politisieren: eine schlechte Angewohnheit, die man in kalten Silvesternächten abzulegen verspricht. Während der New Yorker auf dem Cover seines ersten Albums noch seitenweise Pamphlete und Statistiken über den miserablen Zustand der Erde abdruckte und sich auf Platte Nummer Zwo für die „Animal Rights“ einsetzte, nahm er sich für das jetzt erscheinende dritte Werk mal Persönliches zu verarbeiten vor. Dabei heraus kommt, was Songtitel wie „Honey“, „Find My Baby“, „Why Does My Heart Feel So Bad?“ trägt und allein ja noch keinen Anlaß zum Tränenverguß darstellt, aber die neuerliche Stilwandlung, die Moby nach einem Techno- und einer Punk/Industrial-Album vollzogen hat, hinterläßt doch ausreichend Fragezeichen.

Zwischen Lounge-Blues und Ambient-Sounds, zwischen leichtem Digital-Funk und (ja, man muß es so hart sagen) Pop hat Moby (wieder einmal im Alleingang) ein Album geschrieben, mit dem er einsam der Welt gegenübersteht. Und die Welt denkt: „Ist ja ganz nett.“ Aber auch: „Verdammt noch mal, wir wollen doch von Moby keine Nettigkeiten in die Ohren kriegen!“ Sicher, auch mit „Play“ wird er neue Hörer dazugewinnen, der Meister der Polarisation, und es sich mit Liebhabern seiner alten Werke gehörig zu vergraulen wissen. Wer bisher mit dem Herzen bei Moby und seinen Statements war, wird mit Sicherheit auf eine deutlich entschiedenere Platte gehofft haben.“ (http://www.intro.de/platten/kritiken/23024709/moby-play)

Wikipediaeintrag zum Album (en) und zu Moby (de)

„Nicht jeder hatte eine so gute Mutter wie ich“ Interview mit Moby bei Spiegel online

Leftfield – Rhythm And Stealth (1999)

Reinhören
„Vier Jahre sind im Neuigkeiten verschlingenden Popgeschäft eine halbe Ewigkeit. Wer sich zu lange rar macht, muß ständig die Furcht vor Augen haben, aus dem Kurzzeitspeicher im Kopf der Musikhörer gelöscht und in den Papierkorb verschoben zu werden.

Ganz und gar nicht beeindruckt von den Gesetzen des Marktes zeigen sich die englischen Musiker von Leftfield, die mit „Rhythm And Stealth“ soeben ihr zweites Album veröffentlicht haben. Es wirkt wie eine musikalische Reise durch den schwarzen Kontinent. Scheinbar weit hinter sich gelassen haben Leftfield die europäische Clubszene, der ihr erstes Album Leftism wesentliche Inspirationsmomente verdankte. Statt tanzflächenrockenden Beats und peitschenden Sounds sind auf „Rhythm And Stealth“ fast ausschließlich Down-Beat-Nummern zu hören; ein beinahe meditativ-repetitives Moment zieht sich durch das gesamte Album und verleiht „Rhythm And Stealth“ einen kaum zu widerstehenden Scharm. Manches, was anfangs schwer, dunkel oder gar bedrohlich wirkt, entfaltet seinen herben Reiz erst nach dem zweiten oder gar dritten Anhören. Dies nur als kleine Warnung an alle Hektiker.

Nicht ganz unschuldig am „erdigen“ Klang von Rhythm And Stealth sind die verschiedenen MC’s mit denen Leftfield für diese Platte zusammengearbeitet haben, und deren prominentester Afrika Bambaataa, der selbsternannte Erfinder des Hip Hop, ist.Wer von seinem Kontostand davon abgehalten wird, das Land zwischen Alexandria und dem Kap der guten Hoffung unter die eigenen Schuhsohlen zu nehmen, dem bietet „Rhythm And Stealth“ eine kostengünstige Alternative. Kaufen, einlegen, fühlen.“ (http://www.laut.de/lautstark/cd-reviews/l/leftfield/rhythm_and_stealth/index.htm)

Nicolette – Now Is Early (1992)


Reinhören
„Als PJ & SMILY Anfang der Neunziger mit „Shut Up And Dance“ und ihrer stets merkwürdigen Mischung aus hochgepitchten HipHop-Beats, schäumendem Techno, elektrifizierter klassischer Musik, respektlosen Pop-Samples und allerlei anderen Spielerein die Clubs so richtig aufmischten, war man zunächst sprachlos. Kurze Zeit später ward dann der Begriff „Jungle-Techno“ erfunden; der Rest ist Geschichte. Für NICOLETTE haben sich PJ & SMILY musikalisch stets etwas zurückgehalten. Das Verrückte an der Zusammenarbeit war allein die Frage, wie in aller Welt eine Sängerin auf diese schnelle Art von Musik klarkommen sollte? Die Antwort hieß „Now Is Early“ und ist bis heute ein kleines Juwel aus einer kreativen Zeit, in der alles möglich schien und die Grundlagen für die heutige Jungle/Drum’n’Bass-Ära gelegt wurden. Warum das alles passiert ist, kann man aus NICOLETTEs persönlichen Geschichten von „No Government“ bis „School Of World“ heraushören, die ihr damals den Titel der „BILLIE HOLIDAY On Acid“ einbrachten. Solchen Kategorisierungsbeschreibungen zum Trotz finden sich in der Art und Weise, wie NICOLETTE ihre hohe, zuweilen fast piepsige Stimme zu formen versteht, viele, viele andere Einflüsse von afrikanischen Chants über eine klassische Ausbildung bis hin zu modernen Sprechgesangs-Variationen. Kurzum: die perfekte Begleitung zur Musik, bis heute unerreicht und im heutigen Drum’n’Bass leider so gut wie verschwunden“ (Quelle: http://www.intro.de/platten/kritiken/23022559)