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Antony And The Johnsons – The Crying Light (2009)

Quelle: https://img.discogs.com/Am9OaMfvRbQ42MTa0EoYz6b6_Ec=/fit-in/600×596/filters:strip_icc():format(jpeg):mode_rgb():quality(90)/discogs-images/R-1613681-1361235220-3096.jpeg.jpg

Mit The Crying Light setzte Antony Hegarty 2009 zusammen mit den Johnsons ein weiteres musikalisches Drama der Extraklasse. Die Musiker zeigen wieder, wie unterschiedlich Moll auf Klavier, Cello, Geige und Gitarre klingen kann, gepaart mit Falsett im Walzertakt. Ein Kammerspiel melancholisch-barocker Popmusik … als Vermittler der eigenen Sprachlosigkeit, wie Fabian Soethof bei motor.de schrieb. Das geht gefühlt nur bei Antony And The Johnsons.

Das Album ist eine „Meditation über das Paradies“ (Jürgen Ziemer), der sich Antony hier zuwendet und uns daran teilhaben lässt. Er erschafft damit ein Multiversum, dass so schön wie die Natur an sich ist. Es ist nicht mehr als „ein Meisterwerk, eine andere Welt und ein Refugium für alle, die es zu schätzen wissen.“

Dem ein eigenes Bild hinzuzufügen, mag anmaßend sein. Als ich jüngst durch den Wald wanderte und Fotos in schwarz-weiß schoss, dachte ich an dieses Album. The Crying Light – es war auch hier. Licht und Struktur genügten mir beim Blick durch den Sucher… Farben waren nicht nötig. Hier ein gestitchtes Bild für das Album.

(C) Lars Kilian (2021): The Crying Light (CC BY SA 3.0 DE)

Nach den nichtssagenden Worten doch lieber das Lied „The Crying Light“ in einer Liveperformance)

AG Geige – Trickbeat (1989)

„Wir lebten in Tagen von Zeychen und Wundern. Wo sind sie hin? Keiner sah sie gehn…“, sang einst die AG Geige auf dem Album Trickbeat, ihrem poetlektischen Erstling auf Vinyl nach einigen Kassetten-Produktionen , der den Unpop in den 80ern weiter  auslotete. Vergleiche zu anderen Bands der Zeit zu ziehen, ist wohl nicht möglich. Gern wird „Der Plan“ herangezogen, wobei der Vergleich hinkt. Aber auch zu den Einstürzenden Neubauten oder DAF könnten gewisse Bezüge hergestellt werden, ohne damit ins Schwarze zu treffen.

Der „Trickbeat“ der AG Geige ist nicht zu fassen.  Er wurde nicht wirklich erfolgreich, galt aber als bester und orginellster Musikentwurf der Zeit aus der ehem. DDR. Die Mischung elektronischer Beats mit den Texten, die wohl zwischen Dada, Dekonstruktion und Hermeneutik pendeln, erzeugt eine fast schon unwiderstehliche Spannung, die auch nach 25 Jahren (!) keine Langeweile aufkommen lässt. Passenderweise heißt es im titelgebenden Track:

„Alle Tore sind geöffnet
Hunderttausend steh’n bereit
Und das Gestern wird vergessen
Und der Morgen ist noch weit
Heute ist uns nichts zu schade
Heute gibt es keine Gnade
Trickbeat heißt der Lebenssinn
Trickbeat tanzen heißt ‚Ich bin‘

Alles soll nach Trickbeat klingen
Wenn du Angst hast: Trickbeat singen

Webseite der AG Geige

Wikipediabeitrag mit weiteren Informationen

Tapeattack listet das Album zum kostenlosen Download. Ich hoffe, das ist legal. Falls nicht, bitte ich um eine kurze Info.

CocoRosie – The Adventures of Ghosthorse and Stillborn (2007)

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Was ist eigentlich das schöne an den Platten von CocoRosie, dass ich gern immer noch eine mehr im Schrank haben möchte? Eine Frage, die ich mir selbst hin und wieder stelle. Ist es das verspielte der Lieder? Ist es der Überraschungsmoment, wenn wieder mal ein neuer Gegenstand, der wohl eigentlich nicht zum musizieren gebaut wurde, nun doch für einen Ton auf dem Album herhalten muss? Ist es die Freude über nie erwartete Melodien, verträumten SingSang oder der eine oder andere prominente Studiogast (hier übrigens wieder mit Gastauftritt von Antony), der die beiden Schwestern unterstützt? Ist es diese (verw)irrende akustische Reise in die Traumwelt der Beiden, zu der jedes Album einlädt? Es liegt wohl an allen zusammen und noch mehr…
Wikipedia zu CocoRosie

Goethes Erben – Der Traum an die Erinnerung (1992)

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Was war das für eine Zeit, in der solche Alben möglich waren? Dark Wave war durch, Gruftis hatten üblicherweise die Farbe wieder entdeckt und dennoch gab es so ein paar Trends, die sich vom Schwarzen nicht so richtig lösen konnten oder wollten. Goethes Erben gehörten damals dazu. Stimmungsvolle Konzerte bei Kerzenschein, eher klassische Instrumentierung und ein Sprechgesang, der sich inhaltlich vorzugsweise mit den wengier lebensbejahenden Themen widmete. Und dennoch übte (und übt wohl auch heute noch) diese Musik der Bayreuther einen gewissen Reiz aus. Atmosphärisch dicht & dunkel und mit einem einem guten Gefühl für das Sprachspiel un dPoesie bleibt es – bei mäßiger Anwendung – durchaus spannend, diese CD einzulegen. Denn wie steht auf dem Cover des Albums: „Das Wort ist der Mantel, in dem der Sinn schweigend auf seine Entkleidung wartet.“

 

Wikipediabeitrag zum Album

The Art Of Noise – In Visible Silence (1986)

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Kinder, wie die Zeit vergeht. Ein Album aus dem Jahre 1986 – und ich kann mich daran erinnern, wie ich fasziniert auf dem Weg in die Schule und zurück auf meinem Walkman dieses Album celebrierte. Umso erfreuter war ich, die CD endlich für einen bezahlbaren Preis erstehen zu können.

Die avandgardistischen Pioniere elektronischer Musik feiern hier ein Fest der Zukunft und greifen wohl erstmals auch auf akustische Instrumente zurück. Dabei konnten sie durchaus ein paar Hits mit dem Album landen (z.B. „Peter Gun“), was wohl daran lag, dass es wärmer und melodischer produiert wurde, ohne dabei auf neue Ideen zu verzichten, wie die Opener „Opus 4“ schon zeigt. Und sie schafften es, wenn ich mich richtig entsinne, sogar,mit „Legs“ (später bekannt als „Paranoia“) die Titelmusik für eine der ersten computergenerierten Serien (Max Headroom) zu liefern.

Wikipediabeitrag über The Art Of Noise

Regina Spektor – Begin To Hope (2006)

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Was uns auf „Begin To Hope“ begegnet, ist herzerweichend, köstlich, leicht und macht verdammt gute Laune. Bereits bei „Fidelity“ schmilzt das Herz dahin. Regina Spektor singt so ungezwungen, so verträumt und mit einer Leichtigkeit, die ansteckend ist: „I hear in my mind all these voices, I hear in my mind all this music and it breaks my heart“. Wenn eine Sängerin Hoffnung macht, dann ist es Spektor. Ihre Lieder sind nicht so schwer wie die der Songwriterkolleginnen Beth Gibbons oder Anna Ternheim, von Belanglosigkeit kann jedoch nicht die Rede sein. Es ist die Mischung aus Sensibilität, Theatralik und Optimismus, die den Hörer warm umhüllt.

Eine zerzauste Bett-Wohlfühl-Atmosphäre ruft Spektor selbstbewusst mit ihren Beats, Klavier und den Streichern hervor. Man will diese Platte umarmen, ihr Aufmerksamkeit schenken und schlussendlich für besondere Momente aufheben. Kein Wunder also, dass Julian Casablancas von der New Yorkerin begeistert war und sie vor vier Jahren auf die ausverkaufte Nordamerika-Tour der Strokes mitnahm.

Im Gegensatz zu „Soviet Kitsch“ sind die Arrangements auf „Begin To Hope“ opulenter. Spektor experimentiert, reflektiert, mischt Rhythmen mit Streichern und Klavier. Dass sie aber noch immer diese ‚Eine Frau und ein Piano-Performance‘ perfekt beherrscht, zeigt sie bei „Samson“. Die Violinen halten sich dezent im Hintergrund. Leidenschaftlich, jedoch zurückhaltend und in ihren Gedanken versunken, singt die geborene Russin Zeilen, die zeitlos sind: „You are my sweetest downfall. I loved you first.“ Man muss kein Romantiker sein, um sich spätestens hier einzugestehen, dass Spektor einfach nur verdammt berührt. Please. Repeat.

Die Kissenschlacht kann bei „On The Radio“ beginnen. Ein bisschen poppiger als zuvor fusionieren Saiten- und Tastenklänge zu einem vorantreibenden Beat. Die Sängerin kokettiert und lässt den Hörer schmunzeln. Verdammt viel Soul beinhaltet „20 Years After Now“. Wie ein Stück aus einem romantischen Gruselfilm beginnt das Lied verzaubert. Immer wieder tauchen winzige, verspielte Klangfetzen auf, Beats erscheinen plötzlich und verschwinden wieder im Nichts. Einzig der Gesang Spektors sowie das Klavier bilden einen roten Faden.

Mit „Lady“ folgt gegen Schluss ein Stück, das das Jazz-Herz aufblühen lässt. Man stelle sich vor: Ein alte, verrauchte Bar, voll gestellt mit vielen winzigen Souvenirs aus vergangenen Tagen, der Rauch legt sich wie ein Schleier über den Raum. Eine Frau sitzt im Halbdunkel in einer Ecke am Piano. Sie fordert mit ihrer Stimme die volle Aufmerksamkeit. Das Bier wird in Ruhe gelassen, die Zigarette bleibt im Aschenbecher. Man lauscht den Worten, horcht der Klaviermelodie. Es ist die Aura einer Lady, die den Raum füllt. Das Saxophon deutet sich im Verlauf des Stücks jeweils nur kurz an, beendet aber den Song mit einem virtuosen Solo. Die Lady verlässt die Bar mit dem Wissen, ein Album kreiert zu haben, das unglaublich fesselt.“ (http://www.laut.de/lautstark/cd-reviews/s/spektor_regina/begin_to_hope/index.htm)

http://reginasplash.warnerreprise.com/- Homepage von Regina Spektor

Einstürzende Neubauten – Alles Wieder Offen (2007)

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„Es hat den Neubauten gut getan, sich selbständig zu machen und ihre Musik nunmehr ganz auf eigene Rechnung aufzunehmen und selbst zu veröffentlichen. In den letzten Jahren war die Berliner Band so produktiv wie schon lang nicht mehr, nun hat sie mit Alles wieder offen auch noch eine ihrer besten Platten überhaupt am Start. Vom Lärm haben sich die Neubauten scheinbar endgültig verabschiedet, dafür kredenzen sie ein vollmundiges Meisterwerk zwischen poetischen Popsongs und einem ungebrochen grandiosen Sinn für Energie und Dynamik. Es geht ihnen heute musikalisch um die Feinheiten, um das Ausloten zwischen leise und laut, das sie mittlerweile meisterlich beherrschen, und um das Zusammenspiel der Instrumente. Aufbau statt Zerstörung. Über der Musik, lyrischen Balladen und elektrisierenden Rhythmen, aber thront – Entschuldigung, man muss es so majestätisch ausdrücken – König Blixa mit seiner sonoren Stimme, wandelt der ewige Bohemien als älter werdender Dichterfürst durch seinen Garten und sieht nach seinen Pflänzchen. Im Gegensatz zur Musik darf es in den Texten gern noch etwas mehr sein. Doch egal ob wuchtig oder zärtlich, in Bildersprache verkleidet oder ungewohnt klar, Bargeld findet fast immer die richtigen Worte.

Die Einheit von Musik und Text ist auf jeden Fall verblüffend. „Die Wellen“ bildet das Wogen des Meeres ab und wird gegen Ende hin immer wilder („Ich halt dagegen, brüll jede Welle einzeln an: / Bleibst du jetzt hier?”). „Nagorny Karabach“ erzählt von einem ganz speziellen Ort („Komm mich mal besuchen / Ich hab unendlich Zeit / Und der Blick der ist vom Feinsten”) und gemahnt an die ruhigeren Stücke von Nick Cave & The Bad Seeds, als Bargeld noch mitspielte. „Ich hatte ein Wort“ ist eine berührende Ballade über die Schönheit, die ein einziges Wort zu erzeugen im Stande ist. „Weil weil weil“ rockt mit einem Rhythmusmotor Marke Timbaland. „Ich warte“ schließlich ist eine Anrufung der mächtigen Kräfte, die in der Musik stecken: „Ich warte bis sie Türen Tore Schleusen öffnet / Bis sie wolkenbrechend – Weckruf Fanfare – / Überraschend aus dem Hinterhalt sich stürzt / Ich hoffe sie zettelt eine Hymne an”. Ein Erlebnis, wie der Meister hier ins Rasen gerät. Man vermeint streckenweise, Klaus Kinski beim Deklamieren zu hören, aber es sind doch immer Blixa Bargeld und seine Gang. Einstürzende Neubauten, so leicht und verführerisch wie nie zuvor, und trotzdem ein mächtiges Werk.“ (http://www.now-on.at/kritiken.artikel.php?artikel=1697)

http://www.alles-wieder-offen.com/ – Webseite zum Album