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Locust ‎– Morning Light (1998)

Bildquelle: https://img.discogs.com/Tkhh7dYmCL6O3lUmfKQ7Nmd4WRE=/fit-in/600×597/filters:strip_icc():format(jpeg):mode_rgb():quality(90)/discogs-images/R-118170-1462925304-8937.jpeg.jpg

Wiederentdeckung des Monats in meinem CD-Regal. Locusts Morning Light. Wie ein guter Wein. Im Laufe der Jahre reift das Album und wird stets besser. Oder liegt das am Hörer? Egal wie rum man es auch sehen mag – was ich Ende der 90er einfach nur „anders / interessant“ fand und deshalb kaufte, entpuppt sich als wohlig wabernder, ruhiger, in dunklen aber warmen Tönen changierender Groove. Gab es früher die Gänsehaut zum wunderbaren Titel „Jukebox Heart“, scheint sich nun Song um Song organisch in diesem Album zu fügen. Nichts ist perfekt, was es wohl gerade deshalb perfekter klingen lässt. Da tauchen aus dem Nichts scheinbar unpassende Sequenzen auf und fügen sich dann doch in diese Klanglandschaften, ein Breakbeat unterstreicht dezent einen gehauchten Gesang. Die elektronischen und akustischen Instrumente sind gleichberechtigt und selbst Vogelgezwitscher oder plätscherndes Wasser laufen mal dezent – fast ungewollt – im Hintergrund.  In der Intro steht zum vorangegangenen Album von Locust der richtige Satz, der eigentlich diesem Album gelten sollte: „Das Ergebnis sind ebenso intelligente wie urbane Soundscapes für eine Ewigkeit.“ (Quelle) Oder, wie ein Kommentar zum Lied „No One In The World“ kurz und passend bemerkt: „pure beauty!“

Und weil das Album so vielschichtig, so sanft und detailreich, geheimnisvoll und doch strahlend ist, „spendiere“ ich ihm ein Bild, welches ich dafür passend finde. Es ist eine simple Deckenlampenschale. Mit den goldenen Beschlägen und dem indirekten Licht schuf sie eine wundervolle Stimmung an dem Ort, an dem sie hing und wohl auch noch hängt.

Morning Light
Lars Kilian: Morning Light (2017) CC BY SA 3.0 DE

Und weil es so schön ist: Hier der Titel „No One In The World“

Ammer & Haage – 7 Dances Of The Holy Ghost (2005)


Es geht auf Weihnachten zu und damit kommt auch das Heilige in unseren Breitengraden stärker zum Tragen. Zeit für Andreas Ammer und Ulrike Haage, die auf ihre Art den Heilgen Geist zum Tanzen bringen. Auf diesem Album, oder ist es ein Hörspiel (?), tauchen die beiden ein in die Welt der Märtyrer, dem (bürokratisch formalen) Akt einer Heiligsprechung, der Symbole, der Sagen und Mythen, der Verehrungen der Heiligen  (allein bei Johannes Paul II gab es über 250 Heiligsprechungen) und und und erzählen dabei zahlreiche Geschichten über Wunder und wundersames. Sie streifen durch vergangene Äonen und verweben sie mit der Jetztzeit, wenn Radio Maria zum Klingen kommt oder TV-Prediger durch den Sampler gejagt werden. Stimmlich hervorragend getragen wird dieses Arrangement von Katharina Franck, Ben Becker und Phil Minton. Fazit: Das Album bringt eine heilige, aber keine stille Nacht. 


Meine Bildassoziation mit dem Album: Ein Foto aus der wahrlich beeindruckenden, leuchtend goldenen und reich verzierten Königlichen Kapell in Palermo

 

AG Geige – Yachtclub + Buchteln (1986)

Schon über 30 Jahre alt. Oh je.  AG Geige prägte meine Jugend, definitiv! Auf Yachtclub + Buchteln finden sich meines Erachtens die ersten Aufnahmen von dieser Formation, die seinerzeit auch mal auf Tape kursierten (wennngleich ich nicht mehr weiß, ob das eine legale Kassette war oder diese wieder und wieder kopiert wurde). Aber ich erinnere mich noch daran, wie ich diese Sounds und Texte erstmalig hörte und ziemlich fasziniert war. Ich meine, es war Mitte der 80er, Pop dödelte vor sich hin und elektronische Soundexperimente hinter der Mauer waren eher selten. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese vier Chemnitzer zur damaligen Zeit sicher auch so manche Vertreter des Staatsapparates vor einige Herausforderungen stellte 🙂 Dazu die Lifeperformance… Wer sich für die Seitenwege deutsch-deutscher elektronischer Musik interessiert, dem kann ich dieses Album ans Herz legen. Viel Spaß!

HGich.T – Lecko Grande (2012)

Zugegeben. Mein CD-Regal ist gefüllt mit Ohrwürmern, freundlicher Hintergrundmusik und anderen Nettigkeiten für mein Trommelfell. Aber nicht nur. Es gibt auch einiges absonderliches, dass ist mir bewusst. Denke ich z.B. an die Soundexperimente von Ryoji Ikeda, das Oszillieren von Pansonic oder die Endlosschleifen von Oval, weiß ich, dass ich das nur allein hören darf. HGich.T reiht sich in diese Gattung – ich nenne sie mal asoziale Musik, weil mein soziales Umfeld dabei weg rennt – ein. Sie haben mich irgendwann auf Youtube „gewonnen“ und ich war erschrocken fasziniert. Wie bei einem Horrorfilm, bei dem man zwischen den Fingern der Hand hindurchschaut, wenn das Böse kommt. Ist das Trash? Ist das DADA? Ist das noch Real? Oder kann das schon weg? Einen Abend hangelte ich mich von Video zu Video und war, ja, erschrocken fasziniert. So musste ich mir das nochmal als Album anhören. Vielleicht steckt da ein Konzept dahinter? Ganz sicher ist man sich da nicht. Auch bei der Kulturzeit oder beim Spiegel online war man ratlos, wie diese Form musikalischen Ausdrucks zu bewerten wäre. Naja, halten wir es wie die Großen „Kunst ist das, was ihr draus macht!“ Oder um laut.de zu zitieren: „Nur unter vorübergehender Auslöschung großer Teile der Persönlichkeit kann man den Tonträger einigermaßen überstehen.“ (http://www.laut.de/HGich.T/Alben/Lecko-Grande-87193). In diesem Sinne eine schöne Lecko Grande. 

Die große mp3-Schatzkiste von HGich.T auf deren Webseite: http://www.hgicht.de/Lieder/Liedseite.html

Grimes – Visions (2012)

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Das Cover schreckt potentielle Hörer schonmal ab. Oder erzeugt es doch eher Aufmerksamkeit? Meine erste Assoziation war: ein Japan-Reimport 🙂 Crimes schafft es, mit ihrem dritten Album Grenzen aufzuheben und Gegensätze zu verschmelzen. Ein Gengreclash, den die Leute bei plattentest.de als „Electro-Album für Urban-Outfitters-Mädchen“ bezeichnen. Zentral ist ein schwebender Elektro-Pop, der von fast schon elfenhaften Gesängen Cocteau Twins & Co.  ummantelt wird. Passt auch irgendwie zum Plattenlabel 4AD. Damit wird es gleichsam unspektakulär oder auch scheinbar beliebig. Aber man sollte Grimes die Aufmerksamkeit widmen, die sie verdient. Dann offenbart sich das feine Geflecht der Sounds, die dieses Album auszeichnen. Für diejenigen, die keine Zeit und Ruhe dafür finden,  bleibt noch das cover als Tatoo-Vorlage 🙂

Offizielle Webseite von Grimes


World’s End Girlfriend – Seven Idiots (2010)

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Was wäre, wenn Mouse On Mars mit Godspeed You! Black Emporer zusammen ins Studio kommen? Das klänge sicher spannend, oder? Oder wie  Ulf Imwiehe von der Intro meinte: „Horror Vacui? Oder die reine Freude am Sound-Clash und sensorischen Overload? Was immer den japanischen Komponisten Katsuhiko Maeda antreibt, das Resultat klingt wie eine Jam-Session von Aphex Twin, Sun Ra und John Zorn auf Glücksbärchisaft.“

Um dieses Album zu komponieren, stellte Maeda den Gesang an erste Stelle, der zugleich das Grundgerüst darstellte, um den dann die Sounds arragiert worden sind. Das Interessante an dem Vorgehen: Im Laufe der Arbeit wurde der Gesang nach und nach aus den einzelnen Stücken gestrichen bis (fast) nur noch das Instrumentale übrig blieb. Und auch selbiges wurde geschnitten, neu zusammengesetzt, durch den Computer gejagt usw. usf…

Herausgekommen ist ein Album, was wohl schwer in Kategorien zu fassen ist. Tanzen ist kaum möglich, entspannen ebenso wenig. Es ist definitiv zum Zuhören. Verstörend und schön, wie Strukturen aufgebaut werden und im nächsten Moment wieder zerfallen, nur um etwas Neues zu gebären. Ein Verschmelzen von Extase und Besinnung, Harmonie und Dissonanz, Konstruktion und Destruktion. Sozusagen ein Durchlauf aller vier Jahreszeiten – und die mehrmals pro Titel. Das nachfolgende Video zeigt besser, wovon ich nicht schreiben kann…

Apparat – Silizium EP (2005)

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Apparat schwimmt ja gerade gut auf den Wellen der Zeit mit und ist ein gefragter Mann. Zusammen mit Modeselektor kam jüngst das zweite Moderat Album heraus und es gab auch ein weiteres Album (Krieg und Frieden/Theatermusik). Die hier vorliegende Silizium-EP ist eins seiner zarten Werke, in denen er zeigt, wieviel analoge Wärme im Digitalen liegen kann. Durch den Einsatz entsprechender Instrumente zaubert er eine verträumte Melancholie, wie es sonst nur wenige können (Notwist, B. Fleischmann…). Die EP beinhaltet neben den Apparat-Tracks noch einige Remixe von Telefon Tel Aviv, Rechenzentrum und Bus, die  behutsame Variationen der fragilen Originale  darstellen.

Infos zu Apparat auf Wikipedia

Aphex Twin – Come To Daddy (1997)


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Come to Daddy entstand, als ich bloß zu Hause rumgammelte, angepisst war und diesen beschissenen Death Metal-Jingle produzierte. Dann wurde es vermarktet, und ein Video wurde gemacht. Und diese kleine Idee, die ich hatte, dieser Witz, wurde zu was richtig Großem. Das war ganz und gar nicht richtig.“ (Aphex Twin) Ob es richtig war oder nicht, sei dahin gestellt. Jedoch wurde dieses „Artefakt“, was Aphex Twin so nebenher bastelte, doch zu etwas Größerem. Düstere und böse elektronische Sounds, verquere Gitarren und zwischendrin immer wieder diese typischen, zerbrechlichen Melodien. Dazu das Musikvideo von Chris Cunningham, welches Kultstatus erreichte und 2003 auf Platz 35 der Liste der „100 Scary Moments“ des Channel 4 (als einziges Musikvideo) sowie von Pitchfork Media als bestes Musikvideo der 90er Jahre gewählt wurde, dass zur Verbreitung der Musik nicht wenig beitrug. Also, insgesamt sehens- und natürlich hörenswert.

Wikipediabeitrag über Aphex Twin

Funkstörung – Additional Productions (1999)

Bei Amazon
Leute Leute, wo ist die Zeit? Und eine noch größere Frage: Wie weit kann man der Zeit voraus sein? Funkstörung schafften es ja stets, Sounds zu sezieren, sie neu zusammenzusetzen und dabei ganz eigene Kreationen zu basteln. Und obwohl dieses Album schon 13 Jahre auf der Hülle, sind die Ideen immer noch frisch, was wohl an der Detailverliebtheit von Funkstörung liegt!  Bei den eigenen Werken von Funkstörung lässt sich eine Nähe zu Autechre nicht leugnen, was wohl auch für Unmut bei den Sheffieldern sorgte.

Ihre musikalische Eigenständigkeit zeigen sie bei den Auftragsarbeiten für andere Musiker, von denen sich auf diesem Album einige wiederfinden. Versammelt sind sozusagen die „Reste“ und Seitenprojekte, denen sich Funkstörung in ihrer Schaffenszeit hingegaben. Acht Tracks, als Remix-Compilation zusammengestellt, zeigen zwar nicht gänzlich auf, was Funkstörung aka Michael Fakesch und Chris de Luca wirklich konnten (liegt es daran, dass das vorgegebene Material seine eigenen Strukturen mitbringt?), aber sie zeigen, wie anders eine Welt gesehen – pardon – gehört werden kann, indem sie „eine Schneiser der Verwüstung bei den Originalen“ (Intro)  hinterlassen und „verfremdete Vocals, verwaschene Beats und auch mal ein totaler Stop mitten im Flow (die komplexen Überarbeitungen schrecken vor nichts zurück. Bis zu 400 Sounds und Effekte verwenden die beiden angeblich pro Werk…“ (http://www.intro.de/platten/kritiken/23024685/funkstoerung-additional-productions)

Auf dem Album finden sich Remixe von Björk, Wu-Tang Clan, Finitribe, Visit Venus…

Verfremdete Vocals, verwaschene Beats und auch mal ein totaler Stop mitten im Flow ( die komplexen Überarbeitungen schrecken vor nichts zurück. Bis zu 400 Sounds und Effekte verwenden die beiden angeblich pro Werk, etwa auch bei den Releases für ihr Label \“Musik Aus Strom\“. Dabei aber kratzen Funkstörung immer auch am Abgrund zur eierschaukelnden Kompliziertfrickelei entlang, wenn man denn erst mal ihre komplizierten Beats begriffen hat. Aber die Ingredienzen der Originale machen dann doch jedes Werk zu etwas eigenem. Kommt mit wirklich pfiffigem \“Designers Republic\“-Cover und macht gespannt auf ihre anstehende eigene Elpee.

Wikipediabeitrag (engl.) zum Album

Wikipedia zu Funkstörung

Rezension im Kulturspiegel von 1999

Portishead – Dummy (1994)

Hörprobe
Da zäume ich mal das Pferd von Hinten auf, wenn ich hier nach dem Zweitling „Portishead“ und dem dritten „Third“ nun auchmal auf das bahnbrechende und stilprägende erste Album „Dummy“ zu schreiben komme. Was sich hier 1994 die Soundtüftler aus Bistrol aus den Fingern geschüttelt haben, läutete schlicht und einfach aber unumstößlich den TripHop endgültig ein. Beth Gibbons fragile und kraftvolle Stimme schmiegt sich passend an die verschleppten und verzerrten Beats an, die eine entsprechende Wärme ausstrahlen. Und so entstand ein Album, welches „die ganze Herzlichkeit eines schwarzen Lochs“ (laut.de) verkörperte. Düster, faszinierend, anziehend, mysteriös und schön. Für die damalige Zeit lieferte dieses Album einen bislang ungehörten und mutigen Stilmix, der sofort den Zeitgeist entzündete.
Mit Fug und Recht kann dieses Album als ein Meisterwerk bezeichnet werden, wurde es doch von den Magazinen „The Face“, „Mix Mag“ und dem „Melody Maker“ zum Album des Jahres gewählt und mit dem Mercury Music Price ausgezeichnet. Vom Rolling Stone wurde das Album in die Liste der 500 besten Alben aller Zeiten und vom Spex auf Platz 60 der besten Platten des Jahrhunderts gehievt.

Die Zeitschrift Visions setzte es auf ihrer Liste „Die wichtigsten Alben der 90er“ auf den 2. Platz.
Wikipediabeitrag über Portishead