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„Der Zerbrechliche
Mark Hollis erkundet meisterhaft die Ränder der Popmusik
So stellt man sich keinen Popstar vor: klein, dünn, abstehende Ohren, verschreckter Blick. Jetzt nur keine dummen Fragen stellen, sonst fällt er um. Dabei war Mark Hollis eine Größe der achtziger Jahre. Chef der New-Wave-Band Talk Talk, die eine ansehnliche Hit-Serie produzierte: von „Such a shame“ bis „The Colour of Spring“. Doch der Brite aus Nordlondon wollte nicht nur reich und berühmt sein, sondern auch Künstler. Mark Hollis dehnte und streckte den steifen, ungelenken Organismus seiner Popgruppe, ließ die Kompositionen weit über fünf Minuten hinauswuchern, verbannte die Drum Machine und mengte ungewöhnliche Klangfarben bei einen Triangel beispielsweise und einen großen, dicken Brummbaß, der das ganze Klangbild in Richtung Jazz schob. Die Plattenfirma war verzweifelt. Man gab Mark Hollis noch eine Chance und noch eine: Vielleicht würde er ja seine künstlerische Flausenphase überwinden, vielleicht rutschte ihm ja noch einmal ein Hit aus dem Ärmel.
Doch der Mann blieb stur: Immer zarter, immer weitmaschiger wurden seine Soundgewebe, bis das Vehikel Talk Talk sacht evaporisierte. Mark Hollis verstummte. – Jetzt, nach sechs Jahren der inneren Emigration, ist er wieder da. Eine Rückkehr, die an die anderen verwunschenen Prinzen der Popmusik und ihre gloriosen Comebacks erinnert: an Scott Walker, an Robert Wyatt. Bewohner des Elfenbeinturms, nur lose an die Moden und Torheiten der Gegenwart angebunden. Enigmatiker und Einzelgänger, die ihrem eigenen Zeitmaß gehorchen und keinen Druck von außen akzeptieren.
„Mountains of the Moon“ wollte Mark Hollis sein neues Album nennen. Doch selbst diese karge Chiffre war dem Sänger noch zu ausdrucksstark. Zuletzt blieb nur der Name des Künstlers auf der CD-Hülle. Keine Erklärungen, keine Fußnoten, die Musik soll sich selbst erklären. Es ist ein Klang, der der Stille abgetrotzt scheint. Einzelne Klaviertönemit viel Pedal, hingehuschte Flackerklänge. Die Stimme schwingt aus dem Nichts ein belegt, brüchig, gewinnt an Form und Volumen, um dann wieder im Instrumentengeflecht zu versickern.
Es gibt wenig harmonische Bewegung in der Musik von Mark Hollis: ein paar Akkorde nur wie im modalen Jazz des Miles Davis. Manchmal wird der Rhythmus drängender, das Becken zischelt aufgeregt. Wie Treibgut in einem gemächlich dahinströmenden Fluß schwimmen Soundpartikel vorbei: ein Blues-Seufzer der Mundharmonika, eine melancholische Phrase von der gedämpften Trompete, ein paar Tupfer eines Holzbläserensembles. Musik, die aus der Zeit herausgefallen ist, die aus vielen Epochen schöpft, ohne sich in einer niederzulassen. Nicht Folk, nicht Jazz, nicht Klassik, aber von allem naschend.
Ob Mark Hollis vom zeitgenössischem Pop beeinflußt ist? Von Postrock-Bands wie Tortoise, von Rhythmus-Experimentalisten wie Goldie? Voller Entsetzen reißt er die Augen auf, kommt ins Stottern. Kennt er nicht, hört er nicht, will er nichts mit zu tun haben. Er beschäftigt sich lieber mit Ravel, Debussy, Boulez, Stockhausen. Neuerdings auch mit Morton Feldman.
Der lange Atem, die Dramatik der Pausen, die Musik als letzte Geste vor dem endlosen Schweigen. Einfach zwei Mikrophone in einen leeren Raum stellen, die Atmosphäre einfangen, den Hörer hineinziehen. „Erst dann erlebt man, wie zerbrechlich Instrumente klingen können“.“ (http://www.zeit.de/1998/11/Der_Zerbrechliche?page=all)
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