Größtes Offlinearchiv des Internets

Das World Wide Net – hierzulande besser bekannt als das Internet – entwickelt sich rasant. Täglich kommen unzählige neue Informationen dazu, Alte werden ergänzt und erweitert oder revidiert. Eine Informationsflut ist losgetreten – und alle machen mit.

Wie oft ist es dabei dem einen oder anderen Nutzer schon passiert, dass eine Seite im Internet gestern noch vorhanden war und heute ist sie weg oder verändert. Besonders ärgerlich, wenn die Seite wichtige Informationen enthielt, die man zum Beispiel einem Kollegen oder Freund zukommen lassen wollte. Aus diesen und anderen Gründen hat sich ein Ehepaar in den Vereinigten Staaten daran gemacht und archiviert das Internet – als Ausdruck!

 

Meansville (USA): In den Räumen stehen Drucker, blinken Lampen und viele Computer verrichten ihre Arbeit: Sie suchen nach Neueinträgen auf den Webseiten dieser Welt. Ist eine Webseite aktualisiert, so startet ein Programm und druckt die Seite aus. Mitarbeiter sammeln die Seiten, sichten sie und sortieren diese nach Themen, Herkunft usw und katalogisieren sie. Anschließend werden sie in einem großen Archiv – einer ausgebauten Lagerhalle – abgeheftet. „Was soll das alles?“ fragt man sich. John Stevens, Begründer des wwOw (world wide offline web) lächelt und gibt bereitwillig Auskunft: „Wissen Sie“, es gab unzählige Situationen, in denen ich eine Webseite brauchte und diese war im Netz nicht mehr vorhanden. Ein Zustand, der mich ärgerte. Also fing ich an, mir wichtige Inhalte auszudrucken, um sie zur Hand zu haben, wenn ich sie benötige. Das war sozusagen der Ursprung der Idee, wwOw zu gründen.“ Aber warum fing der Geschäftsmann an, das ganze Internet auszudrucken und zu archivieren? Auch auf diese Frage hat Mr. Stevens eine Antwort: „Nicht nur mir ging es so mit dem Datenverlust. Irgendwann kam meine Frau mit einer Liste von Internetadressen und bat mich, diese für Sie zu archivieren. Sie fand mein System gut, Informationen längerfristig vorzuhalten. Das alles war ein Selbstläufer. Kollegen und Freunde meiner Frau und mir waren beeindruckt, wenn wir auf Inhalte verweisen konnten, die andere nicht hatten und fragten nach unseren Dienstleistungen. Damals waren wwOw nur ein one-man-business. Heute haben wir über 200 Mitarbeiter und einen riesiges Rechenzentrum, verknüpft mit Bibliotheksystem und Archiv. Wir kämpfen so gegen die digitale Vergesslichkeit des Internets an.“

 

Das Prinzip leuchtet ein. Papier ist immer noch zeitloser und „unvergesslicher“ als Bits und Bytes. Aber wie kann aus solch einem Tick ein Geschäft werden. „Anfangs war das ein Service für Freunde, wir verdienten damit kein Geld. Einige hielten uns für verrückt“, sagt Stevens mit einem breiten Grinsen. „Aber zusehends wurde unsere Idee populärer. Gegen geringe Endpreise archivierten wir spezielle Seiten und Inhalte. Privatpersonen gaben uns einen symbolischen Betrag für die materiellen Unkosten und mir machte es Spaß. Als immer mehr Firmen unsere Dienstleistungen anfragten, mussten wir ein Geschäftsmodell entwickeln, da die Kosten für die Archivierung immer mehr anstiegen.“ Dabei, so betont der breitschultrige Mitfünfziger, war es für Firmen insbesondere unser ausgeklügeltes Archivierungssystem interessant sowie die Garantie, die Daten für mehrere Dekaden zu erhalten. „Anfangs war ich irritiert, dass solch eine Dienstleistung nachgefragt werden würde“, erinnert sich Stevens, „aber die Motive lagen auf der Hand.“ Und die sind vielschichtig, wie er uns erklärt. Beispielsweise für juristische Zwecke ist es sinnvoll, Informationsseiten von Firmen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erhalten, um so auch Jahre später auf die einstigen AGB (allgemeine Geschäftsbedingungen) hinzuweisen. „Stellen Sie sich vor, Sie kaufen einen Gegenstand und der Hersteller verspricht Ihnen auf seiner Internetseite eine lebenslange Garantie. Einen Monat später ändert er diese Bedingungen um in eine 14-tägige Garantie. Sie schauen nicht jeden Tag auf die Herstellerseite, aber wenn Ihr Gegenstand defekt ist, möchten Sie natürlich Ersatz. Der Hersteller zieht die ‚virtuellen’ Schultern hoch“ – über diesen Ausdruck muss Stevens selbst schmunzeln – „und sagt, dass er nur 14 Tage Garantie einräumt. Sie haben keinen Beleg in der Hand. Mit unserem Service ist es möglich, Ansprüche solcher Art einzufordern, um nur ein Beispiel zu nennen. Und Firmen sowie Privatpersonen ist dieser Service scheinbar wertvoll.“

Ein weiteres Motiv stellt die Angst vor einem Defekt oder Komplettausfall des Internets dar, den wohl einige der Kunden haben. So investiert eine, von Herrn Stevens nicht näher spezifizierte, öffentliche Institution in den Staaten enorme Summen in seinen Service. „Die Angst, durch technische Störungen oder gar terroristische Aktivitäten den gesamten Informationspool der USA zu verlieren, lässt Kooperationen mit den Behörden entstehen. Im Falle eines Falles wären die Daten wenigstens in einer Bibliothek verfügbar und könnten gegebenenfalls wiederhergestellt werden.“ Wer denkt, dass sich den Service der wwOw nur die Betuchteren leisten könnten, der irrt. „Der Wert der Information erzeugt den Preis, den jemand bereit ist, hierfür auszugeben. So gibt es zunehmend auch Anfragen beispielsweise aus der Wissenschaft oder dem Journalismus und der Publizistik. Autoren großer und arbeitsintensiver Werke, wie einer Doktorarbeit oder einem Taschenbuch fragen an, ob wwOw diese Daten drucken und versionsgetreu archivieren könnte. Das ist zwar nicht unser eigentliches Ziel gewesen, aber wir übernehmen diese Tätigkeiten gern.“

Die Visionen des Geschäftsführers sind groß. Er plant den Ausbau seines Services beispielsweise auf Emails, aber auch sehr flüchtige Informationen, wie eine simple Anfrage bei einer Suchmaschine im Internet sollen archiviert werden, um nur einige Tätigkeitsfelder zu nennen.

Aber nach diesem kurzen Gespräch muss sich der gebürtige New Yorker verabschieden – das Geschäft ruft und vor den Hallen steht eine große Lieferung von speziellen, zeitbeständigen Papier – extra für das archivieren von Daten gefertigt.

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