„Reduktion der Krachpioniere
„Die Zufälligkeit und das Konzept der Konzeptlosigkeit, was bei der Gründung dabei war, hat sich in einer natürlichen Entwicklung weiter verändert und verfeinert.“ 20 Jahre nach Gründung der Einstürzenden Neubauten stellt dieses Zitat Blixa Bargelds wohl einen passenden Rückblick auf die spannende Geschichte Deutschlands wohl wichtigster Industrial Band dar. Anders als in revolutionären Anfangstagen, wo noch alles, was Krach machte, für den Bandsound eingesetzt wurde und Chaos das Grundelement der Neubauten darstellte, stehen heute, nicht zuletzt durch das Engagement von Bargeld bei Nick Cave, filigrane Soundstrukturen und durchdachte Engagements im Vordergrund. Der Einsatz von nahezu beliebigen Geräuscherzeugern wurde stark reduziert und stellt nun nur noch ein Stilmittel, nicht mehr ein Hauptelement dar. Klassische Instrumente und eine glasklare Produktion haben dafür an Bedeutung gewonnen. Trotzdem findet der Fan natürlich von der Flugzeugturbine bis zur Birkenstocksandale wieder reichlich Krankes, nur dessen Präsenz wurde zurückgenommen. Songs wie die Vorabsingle „Sabrina“ und der überwiegend ruhige erste Teil der CD beweisen zwar, daß die Neubauten sogar fähig sind radiotaugliches Material zu schreiben, eine Anpassung der Feuilleton-Lieblinge an den Massengeschmack wird aber durch schwierige Werke wie das Zehn-Minuten-Epos „Redukt“ verhindert.
Auch textlich muß man eingehend bemängeln, daß die Neubauten scheinbar zahm geworden sind. Schnell wird jedoch klar, man hat nur die Methoden geändert: nicht mehr Frontalangriff mit dem Preßlufthammer, sondern lieber effektiv durch die Hintertür. „Selbst in einem Schwerkraftregelkreis kann die Regel leicht zerbrechen / Und das ist nur für Bleierne und Flügellahme – Verbrechen“ ein Zitat aus „Newtons Gravitätlichkeit“ belegt, daß die Neubauten nicht ihre Ansichten, wohl aber ihre Vorgehensweise verfeinert haben. Selbstironie, Wortspielereien, wie die Suche nach der Farbe Schwarz in „Sabrina“ und hintergründiger Humor finden sich in seltener Perfektion in beinahe jedem Stück wieder. Trotzdem bleibt die Platte und ihre Anliegen ernst. Textlich und musikalisch besonders herausragend ist hier das absolute Überstück der Platte: „Die Befindlichkeit des Landes“, ein wütender Angriff auf die Konsumtempel, die das Land überziehen und das diesbezügliche allgemeine Desinteresse. Der Zeitgeist und seine Irrwege sind die gewohnten Hauptangriffspunkte. Stillstand ist Rückschritt, Belanglosigkeit der Tod. Diese düstere Melancholie, die drohend über dem gesamten Album schwebt und die ununterbrochene Kritik an Angepaßtheit und Regelgehorsam („Zampano“) sowie der Rückzug in einen eigenen abgeschotteten Kosmos („Anrufe in Abwesenheit“) sind die wohl wichtigsten Charakteristika von „Silence is sexy“.
„Pelikanol“, das allerdings nur der Erstauflage des Albums auf einer Zusatz-CD beiliegt, ist mit seinen 18:30 Minuten, seinem aufs simpelste reduzierten Text und seinen Endlosschleifen, dann wohl noch am ehesten für Fans der ersten Stunde geeignet. Schwer nachvollziehbar, düster und lärmend schleppt es sich dahin und erinnert an die Gründungsjahre der Band. Heute jedoch haben die Neubauten eine Stufe erreicht, wo sie gar völlige Stille wie im Titelstück „Silence is sexy“ auf CD bannen können ohne dadurch an künstlerischem Wert einzubüssen. Im „Musentango“, einem selbstironischen, nahezu autobiographischen Text über die Schreibblockade eines alternden Dichters, schließlich entdeckt der geneigte Hörer sogar tanzbare Klänge und angesichts dieser Methamorphose bleibt nur noch die Wahl, euphorisch der Band zu dieser Wiederauferstehung zu gratulieren und ihre gelungene Flucht vor der Monotonie früherer Tage zu bewundern oder das Kapitel Neubauten als vergangene Revolution abzuschliessen. Fair wäre das allerdings nicht. (Thorsten Thiel)“ (http://www.plattentests.de/rezi.php?show=202)