7. Portege – Das böse Erwachen und der Weg nach Girdwood

Am nächsten Morgen erwachte ich – irgendwann. Hey, ist ja Urlaub und Wecker gehören da verboten. Erst recht in einem Land, das bereits im Mai mit langen Sonnen- oder sagen wir besser Lichtzeiten aufwarten kann. Mich drängte wenig.

Ich merkte als erstes, dass der Regen nachgelassen hat. Es fielen zwar noch schwere Tropfen, aber bei genauem hinhören bemerkte ich, dass die Tropfen aus den Bäumen kamen, die der Wind herunterschüttelte. Klasse! Sonnig wars aber nicht. Egal. Raus Kaffee und einen leckeren Haferschleim mit „Flavor“ aufgekocht. (Vor meiner Reise war ich für solch eine Speise nicht zu gewinnen, aber beim Tingeln durch den Supermarkt in Anchorage achtete ich darauf, dass die Nahrung viel Energie hat und dennoch leicht ist. Somit waren solche Nahrungsmittel meine Standardverpflegung im Rucksack. Und die verschiedenen Geschmacksrichtungen wie Apfel, Zimt, Himbeere usw. waren wirklich gut!) Als ich meinen (von meinem Freund Mauro geliehenen) Wassersack suchte, war der weg. Im Trockenraum waren auch meine Regenjacke und mein Poncho verschwunden. Mit ihnen zusammen die anderen vier Camper. Mist. Ich will nix unterstellen, aber ein Verdacht machte sich breit… Das war echt ärgerlich und asozial. Einem Rucksacktouristen, der sich schon beschränkt, die Sachen stehlen… Ich war sauer.

Gut, dann keinen Kaffee und Hafer (denn ich hatte dank verschwundem Wassersack auch kein Wasser mehr). Ich zog meinen Fleece an und hoffte, dass der Regen erbarmen mit mir hat, da der Fleece zwar warm hält, aber beim ersten Regen alles Wasser schön aufsaugt. Ich hatte halbwegs Glück, konnte Zelt und Sachen packen und ging auf die Straße. Der Weg war weit und ich hielt den Daumen raus. Einige Autos fuhren vorbei und es fing an zu nieseln. Mist! Ohne wasserfeste Jacke macht das nicht lange Spass. Und wie gerufen hielt ein Auto mit zwei Männern, die mich mitnahmen. Wir fuhren zurück, vorbei an der Brücke, an der mein Hut davon flog, vorbei an der „Metropole“ Portege weiter Richtung Girdwood. Dort liesen mich die Männer raus und ich muss sagen, dass Girdwood tatsächlich eine Art Infrastruktur hat. Es gab ein Kaffee mit Eisdiele (warum essen die Menschen in Alaska Eis?), ein Internetcafe, Straßen nebst Häusern und kulturelle Ankündigungen für den Wochenendsdorftanz. Außerdem natürlich irgendwo den Bahnhof. Schön!

In Ermangelung eines Frühstücks (mir fehlte auf jeden Fall der Kaffee!) ging ich gleich mal etwas jagen. Es gab einen großen Kaffee und Kuchen. Und nochmal Kaffee. Und nochmal. All you can drink – bis zum Herzinfarkt. In diesem Moment fand ich das Klasse. Warmer Kaffee, Trockenheit und Wärme. Ich entdeckte auch einen PC mit Netzzugang, den man für 1$ / 15 Minuten mieten konnte. Machte ich glatt und schrieb den Lieben daheim meine ersten Erfahrungen vom Regen ohne Gletscher usw.

Nachdem ich mich aklimatisierte, fragte ich nach, wo der Bahnhof sei, wo ich mir eine neue Jacke kaufen könne und wo der nächste Campingplatz ist. Den Weg zum Bahnhof konnte man mir schnell zeigen, Jacken kann man in Girdwood nicht kaufen und einen Campingplatz gibts auch nicht. Aber einen Dorm-Bunk (also einen vermieteten Schlafraum für mehrere Leute). Okay! Dann bin ich los, den Fahrplan prüfen. Auch der Bahnhof war relativ klein und meine Abfahrtszeit war ziemlich früh am kommenden Morgen, ich glaube gg. 5.30 Uhr. Als nächstes habe ich versucht, den besagten Dorm-Bunk zu finden. Wenn es keinen Zeltplatz gibt, ich aber morgen so früh hier sein muss, dann sollte ich einfach dort nächtigen und nicht weiter ziehen. Girdwood erwies sich als äußerst gestrecktes Dorf. An der Straße beschaulich geht es weit in die Berge rein. Kein Wunder. Ich sah auf den Bergen Skilifte und es stellte sich heraus, dass die Gegend hier beliebtes Skigebiet für die „Städter“ ist. Somit hat sich die Infrastruktur Richtung Skigebiete entwickelt. Mein Fußweg zur besagten „luxery“ Herberge dauerte ca. 1 1/2 Stunden – mit Verlaufen. Trampen wollte ich nicht, weil ich den Fussweg halbwegs für die Strecke zurück wissen wollte. Denn ob mir morgen ein Auto über den Weg fährt, welches mich mitnimmt, war nicht klar. Ich ging nicht davon aus, dass es ein Taxi gibt. Aber der Weg war schön. Kleine Hütten, alles irgendwie verschlafen, friedlich. Das Wetter war auch wieder besser. Schön fand ich, dass ein Betonbehälter mit drei Tulpen extra mit dem Hinweis versehen worden ist, dass die Blumen bitte stehen gelassen werden sollten, damit sich jeder dran erfreuen kann. Ich dachte an Deutschland, Tulpen ohne Ende – jedes Frühjahr. Hier tickt die Zeit anders und Frühblüher, bzw. Blumen allgemein, sind wohl eher selten. Ich fand die Herberge, die etwas eigentümlich war. Der Vermieter hatte eine Kasse des Vertrauens an die Tür gehangen und war selbst nicht da. Die Nacht 10$. Es gab einen Minischlafraum, vollgestellt mit drei Doppelbetten. Belegt waren bereits zwei Betten. Ein Engländer, der auch auf Urlaub war, ein alter Mann mit dicken Bart, der die ganze Zeit schlief und mich. Schlicht eingerichtet. Eine Wohnküche mit TV. Aber auch Kochplatten sowie eine warme (!) und gepflegte Dusche. So weit – so gut. Der Engländer war sehr gesprächig und amüsant und wir unterhielten uns eine längere Zeit. Dann ging ich nochmal los.

Ich zog durch die Gegend um Girdwood, es gab schöne Wanderwege. Frisches Grün und – zu meine Erstauenen – eine Gegend, wo der Wald total abgestorben war. Sofort gingen bei mir die Ökoalarmglocken an zu läuten. Die Amis, die Umweltverschmutzer! Hier sieht man’s. Tja, soweit zum Thema: Vorurteile. (Denn, wie ich später erfuhr, gab es nordöstlich von Anchorage vor einigen Jahren ein äußerst schweres Erdbeben (ich glaube über 8 auf der Richterskala), so dass sich sogar hier die Erde senkte. Der Effekt: Salzwasser vom Ozean überflutet bei Flut die Region und die Bäume, die zu tief standen, gingen ein.)

Dennoch, diese Region sah faszinierend aus. Vögel und auch wieder Weisskopfseeadler, die in dem Terrain hausten, seeehr sumpfiges Gelände (wollte mir die Bäume gern aus der Nähe ansehen, lies es aber wegen des weichen Bodens lieber bleiben. Falls das hier Moor oder Sumpfgebiet ist, wollte ich die damit verbundene Erfahrung nicht sammeln) So spazierte ich lange Zeit durch die Gegend und freute mich vor mich hin 🙂

Mit guten Hunger und Blick auf die Uhr (musste ja früh raus) ging ich zurück, kochte mir ein paar Nudeln und unterhielt mich mit dem Engländer. Der Bärtige schlief weiterhin den Schlaf des Gerechten – war das noch Winterschlaf? Der Engländer berichtete, dass zwei weitere Europäer (Spanier) angereist seien (die Rucksäcke standen da), aber sie wären gleich wieder verschwunden. Und: sie tauchten auch nicht mehr auf. Ich machte mir wirklich Sorgen, wegen des sumpfigen Bodens und hoffte, dass die bald zurück kämem. Wir redeten über unsere Absichten in Alaska. Er war nur so da, wollte mal schauen. Einig waren wir uns, dass wir keine Bären sehen wollen 🙂 Es wurde spät und ich ging ins Bett. Stellte mir nun doch den Wecker und schlief ein. Am nächsten morgen erwachte ich – vor dem Wecker. Ich schaute auf die Uhr und dachte: „Super! Konnte genau zur richtigen Zeit den Wecker ausschalten, ohne dass jemand anderes vom Weckgeräusch gestört wird.“ Ich sprang auf, kochte Kaffee, stellte mich nochmal ausgiebig unter die heiße Dusche, packte leise meine Sachen und verschwand. Die beiden Spanier waren immer noch nicht da….

Ich ging etwa 50 Minuten zum Bahnhof. Kein Auto! Gut, dass ich den Fußweg kannte. Am Bahnhof angekommen, setzte ich mich und wartete. Irgendwann schaute ich auf die Uhr – wegen der fehlenden Nacht (ich meine eine dunkle Nacht) verlor ich etwas den Rhythmus und das Zeitgefühl. Und ich erschrak. Immer noch 3.45, wie die Zeit, als ich aufstand! Was ist los? Und ich stellte fest, dass ich, als ich erwachte und auf die Uhr schaute, noch immer die Weckzeit im Display vom Einstellen am Abend davor hatte und nicht die richtige Zeit! Und diese Weckzeit wurde immer noch angezeigt. Ich habe demzufolge irgendwann gegen 2 Uhr das Bett verlassen und bin losgezogen. Viel zu früh! Aber ich war halbwegs ausgeschlafen, insofern war es auch okay. Ich nutzte die Zeit, ging nochmal zum gespenstigen, toten Wald und machte ein paar Fotos (die Lichtverhältnisse sind auf dem Bildern sind bei 4.30 Uhr!), las und wartete auf die Alaska Railroad.

Die kam dann auch pünktlich wie die Eisenbahn – sozusagen – und ich führte meine Reise fort nach Seward…

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